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Groko-Talk bei "Maybrit Illner" Stephan Weil bei Maybrit Illner: Wir hatten viele Themen aber kein Thema

Von Daland Segler 19.01.2018, 05:23

Berlin - Wenn nicht die Fallhöhe wäre, man könnte der SPD bescheinigen, dass sie die Hauptrolle in einer geradezu antik anmutenden Tragödie innehätte. Denn wie die Partei auch reagiert: Ihr droht der Absturz. Entweder sie entscheidet sich für eine Neuauflage der Großen Koalition, dann muss sie gewärtigen, dass ihr viele Genossen die Gefolgschaft verweigern. Oder sie bleibt in der Opposition: Dann wird die Union sie als verantwortungslos diffamieren. Doch anders als im griechischen Drama sind die handelnden Personen nicht unschuldig am Dilemma.

Große Fehler

Zuvörderst Parteichef Martin Schulz hat sich gleich zwei gravierende Fehler zuschulden kommen lassen. Zunächst als er am Wahlabend die Partei auf die Opposition einschwor, und das nach dem Scheitern von Jamaika noch wiederholte, und dann in den vergangenen Tagen.

Denn er hätte erstens das bescheidene Ergebnis der Sondierungen niemals als „hervorragend“ verkaufen und zweitens dann, als Widerspruch kam, die Verabredungen mit der CDU nicht als nur vorläufig darstellen dürfen. Das wird der so genannte Mann des Volkes, dessen Nähe sich der Ober-Sozi so gerne rühmt, nicht schlucken, sondern als Umfallen werten.

Überraschende Koalitionen

„Machtkampf um die GroKo – Schulz und Merkel zittern" hatte Maybrit Illner ihre Talkshow betitelt, und es war in mancher Hinsicht eine bemerkenswerte Sendung. Denn zum einen waren gleich zwei Sozialdemokraten geladen – weil sie bei diesem Thema die wirklichen Kontrahenten waren; zum anderen ergaben sich in der Debatte überraschende Koalitionen. Das war vor allem dem engagierten Auftritt von  Juso-Chef Kevin Kühnert zu verdanken. Er betonte nochmal, die SPD werde nicht als Mehrheitsbeschafferin für CDU/CSU gebraucht, ihr Profil sei nach zwei Beteiligungen an einer Großen Koalition nicht mehr klar erkennbar; das Wahlprogramm sei „mutlos“ gewesen.

Unterstützung für Kühnert

Ähnlich argumentierte Gabor Steingart, der Herausgeber des „Handelsblatts“ und sozialdemokratischer Neigungen unverdächtig. Er fand, die Sondierer von SPD und Union ließen eine „Behandlung von Zukunftsfragen“ vermissen und hätten bloß die Verhältnisse festgeschrieben. Dagegen habe Kühnert einen Punkt gemacht. Dieses Lob von einem Wirtschaftsliberalen für seinen Genossen nannte Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil eine „vergiftete Praline“.

Denn Weil („Das Wahlergebnis ist uns in die Knochen gefahren“) sah durchaus einige „echte Fortschritte“ im Ergebnis der Sondierungen. Und hielt seinem Parteifreund Kühnert entgegen, dass es nicht den Gang in die Opposition brauche, um die Partei zu erneuern. Wenn die SPD-Mitglieder das Papier ablehnten, werde die Sozialdemokratie vor einem Berg von Problemen stehen. Weil warnte vor Neuwahlen mit dem Bild der Arbeitsteilung: Die Politiker bäten die Bürger zur Wahl, und die erwarteten, dass die Gewählten dann ihre Arbeit täten. Im Übrigen gab er zu bedenken, dass Deutschland in der Vergangenheit nicht schlecht gefahren sei mit seiner ausgeprägten politischen Stabilität.

Rettungsring für Merkel

Politologe Albrecht von Lucke versprach dem Juso gar, er werde froh sein, wenn die SPD die Große Koalition einginge. Denn sonst bliebe nur eine Volkspartei übrig – die große Chance für die Union. Was die denn erreicht habe, und wo ihre Idee sei, fragte Maybrit Illner da Julia Klöckner, die stellvertretende CDU-Bundesvorsitzende. Ihr sei „Verlässlichkeit“ wichtig gewesen und die Unterstützung der Familie, antwortete Klöckner.

Kühnerts Zwischenruf „was ist mit dem Familiennachzug?“ ging zum Glück für die CDU-Frau unter. Sonst hätte sie zur großen Heuchelei ihrer Partei womöglich Stellung nehmen müssen. So formulierte sie nur, man müsse „das Wahlergebnis verstehen“ – zu Deutsch: nach rechts schielen, um der AfD Stimmen abzujagen. Maybrit Illner vermutete nicht ganz zu Unrecht als „Grund der Vorsicht“ bei der CDU den Wunsch, Merkel zu retten.

SPD ohne festes Thema

Und wie sei Schulz zu retten, lehnte die Partei das Ergebnis ab? Kühnert wandte sich gegen, die alte Regel, Personalfragen mit Inhaltsfragen zu verknüpfen. Es gebe keine Notwendigkeit für einen Rücktritt.

Fehle diesmal ein SPD-Thema wie der Mindestlohn, fragte Illner. Stephan Weil gestand gleich zweierlei: Zum einen hätte man vor zweieinhalb Jahren daran denken müssen, was das Leitthema sei. „Wir hatten viele Themen, aber kein Thema.“  Zum anderen sei er bei seinen Wahlkampfauftritten nie auf die Bürgerversicherung angesprochen worden, wohl aber auf den Pflegenotstand. Wiederum an die CDU gewandt, wollte Illner von Klöckner wissen, warum sie sich so starr beim Spitzensteuersatz gezeigt habe. Die rheinland-pfälzische Politikerin wich halbwegs aus, verwies aber darauf, dass man mit 45 Milliarden Euro auskommen könne.

Es wurde dank Illners Befragung von Dorothea Mohn, der Finanzexpertin der Verbraucherzentrale, dann auch recht konkret. Sie konnte aufzählen, wieviel Euro ein Haushalt bei 4000 Euro brutto mehr bekäme. Vor allem der Abbau des Solidaritätszuschlags schlüge zu Buche: mit 40 Euro im Monat. Probleme sah Mohn bei der ungenügenden Regelung der Rente. „Da kann es kein Weiter so geben“ befand die Expertin. Weil verwies darauf, das für die kleinen Einkommen doch die staatliche Garantie von 48 Prozent erreicht worden sei, Kühnert hingegen erinnerte daran, dass die Solidarrente, ein Projekt aus der vergangenen Koalition, dort nicht umgesetzt worden sei.

Und wieder lobte Gabor Steingart den jungen Sozialdemokraten: Er habe erkannt, dass die Fortschreibung der Rente für die Zeit nach 2025 nicht im Sondierungspapier berührt worden sei.  Das hielt Albrecht von Lucke nicht davon ab, den Juso zu warnen: „Ihr könnt Euch freuen, wenn Ihr nochmal vier Jahre Zeit kriegt!“

„Maybrit Illner“, ZDF, von Donnerstag, 18. Januar, 22.25 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.