Schweigeminute

30.10.2016, 23:01
Lietraturverfilmung: Jonas Nay als Christian (hinten) und Julia Koschitz als seine Englischlehrerin Stella Petersen sind sich näher gekommen. Foto: ZDF/Hannes Hubach
Lietraturverfilmung: Jonas Nay als Christian (hinten) und Julia Koschitz als seine Englischlehrerin Stella Petersen sind sich näher gekommen. Foto: ZDF/Hannes Hubach ZDF

Hamburg - Es gibt Filme, die allein schon wegen einer einzigen Szene anrührend sind. In der Literaturverfilmung „Schweigeminute” (Montag, 31. Oktober, 20.15 Uhr) nach einer Novelle von Siegfried Lenz ist das so.

Die nach einem Segelunfall schwer verletzte Lehrerin Stella Petersen liegt im Krankenhaus. Lehrer und Schüler, darunter ihr heimlicher Liebhaber Christian, versuchen, unbeholfen Worte zu finden, Süßes und Blumen loszuwerden.

Schließlich intoniert eine Schülerin „Scarborough Fair”, jenes durch Simon & Garfunkel berühmt gewordene, romantische Volkslied über ein ehemaliges Liebespaar, das wieder zueinander finden will - mit dem Refrain „And then she’ll be a true love of mine” („Und dann wird sie meine Liebste sein”). Stella laufen wortlos Tränen übers Gesicht - und Christian weiß nicht, dass er sie zum letzten Mal lebend gesehen hat.

Lange stand die Liebesnovelle über die verbotene Liebe einer Pädagogin zu dem 18-jährigen Gymnasiasten in den Bestsellerlisten auf Platz zwei - damals nur getoppt von Charlotte Roches „Feuchtgebiete”. Siegfried Lenz (1926-2014) sagte 2008 im dpa-Interview über seine Novelle: „Es ist nicht eine reine Love-Story, es ist auch Pädagogik im Spiel, Pädagogik und Liebe. Die Engländer haben einen schönen Ausdruck hierfür: love and circumstances, die Umstände, unter denen eine Liebe möglich ist.”

Das Team der Drehbuchautoren (André Georgi, Claudia Kratochvil, Thorsten M.Schmidt) hat denn auch die misstrauische, teils feindselige Atmosphäre der 50er Jahre gegen eine solche verbotene Liebe deutlich stärker herausgearbeitet als das Buch. Im Fokus steht aber die Beziehung zwischen Stella (burschikos-erotisch Julia Koschitz) und Christian (Jonas Nay). Nay spielt den Schüler, der seine erste Liebe erlebt, intensiv: „Ich glaube man kann die erste große Liebe als einen Selbstfindungsprozess sehen.” Nays Anliegen: Der Zuschauer soll die Magie zwischen Stella und Christian im Film spüren.

Es ist eine melancholisch-berührende Geschichte, nicht nur, weil sie, kaum angefangen, tragisch endet. Während der Totenfeier für Stella in der Schule erinnert sich Christian, wie ihre Liebe wuchs. Wie beide sich, wie magisch angezogen, näher kamen - schüchtern anfangs beim Strandfest - später dann unter Wasser tauchend einander fest umklammerten und sich am Strand unter den Kiefern liebten.

Wie er für sie mit Regenwasser Kamillentee kochte, in der Schildhütte auf der Vogelinsel, als sie vom Unwetter überrascht wurden. Und wie der Entschluss bei Christian keimte, ein gemeinsames Leben aufzubauen, bis Stella bei dem mit Freunden unternommenen Ostsee-Törn am Ende lebensgefährlich verletzt wird - ein Segelbaum trifft sie bei einem Wendemanöver kurz vor der Hafenmole am Kopf.

Den dramaturgischen Aufbau der literarischen Vorlage haben die Drehbuchschreiber und der Regisseur Thorsten M. Schmidt filmgerecht geändert. Im Film ist der spektakuläre Unfall schon kurz nach Beginn zu sehen, in der Novelle wird er erst zum Ende geschildert. Auch manche Dialoge und Szenen sind deutlich härter als im Buch - etwa wenn Christian einmal Stella zu Hilfe eilt und einen Kerl mit der Faust niederstreckt. Die Liebesszenen - bei Lenz nur angedeutet - sind im Film deutlich leidenschaftlicher.

Die besondere Atmosphäre des Films prägt die von der Kamera (Hannes Hubach) betörend schön inszenierte Ostseelandschaft: Meeresrauschen, Möwengeschrei, Dünen, Wälder, der weite Horizont - mal wolkenverhangen, mal sonnengeflutet blau - es ist das typische Lenz-Universum des Nordens. Gedreht wurde auf der von touristischen Bausünden verschonten dänischen Ostsee-Insel Bornholm, um den fiktiven Ort Hirtshafen in Szene zu setzen.

Regisseur Schmidt - er hat bereits „Arnes Nachlass” von Lenz verfilmt - wollte der „Schweigeminute” einen modernen Erzählstil geben und die Geschichte trotz des 50er-Jahre-Ambientes in einer zeitlosen Eleganz erzählen. Das ist ihm gelungen, nicht zuletzt dank der überragenden Hauptdarsteller. (dpa)