"Polizeiruf 110" "Polizeiruf 110": Erster ARD-Krimi nach Sommerpause offenbart handwerkliche Mängel

Der „Polizeiruf 110 – Mörderische Dorfgemeinschaft“ hat am Sonntagabend die lange Sommerpause der ARD-Krimis beendet. Unsere TV-Kritik.
Der Fall
In einem Wald bei Magdeburg findet die Polizei ein Auto, der Kofferraum ist voller Blut. Von seiner Verlobten Annette Wolf erfahren die Hauptkommissare Doreen Brasch (Claudia Michelsen) und Dirk Köhler (Matthias Matschke), dass der Halter des Wagens, Jurij Rehberg, nun schon seit Freitag vermisst wird. Wolfs Vater kann ihm gelinde gesagt nicht besonders viel abgewinnen, genauso wie der Großteil des kleinen Dorfs, in dem sie wohnen. Jurij polarisiert die Dorfgemeinschaft – die einen lieben, die anderen hassen ihn. Widersprüchliche Charakterisierungen wie Lebemann, Schuldner, Charmeur, Nichtsnutz, und Verführer verraten ambivalente Gefühle ihm gegenüber. Als die Untersuchung zeigt, dass das Blut im Wagen von Jurij ist, deutet alles auf einen Mord hin, von der Leiche gibt es jedoch keine Spur.
Nach und nach eröffnen sich diverse Motive, doch das Dorf hält zusammen, denn ohne Leiche ist niemandem etwas nachzuweisen. Erst als die Ermittler den Ort mit Spürhunden absuchen, die an unterschiedlichen Stellen anschlagen, fügt sich ein Gefüge aus Tätern, Mitwissern, Helfern und Verrätern zusammen.
Die Auflösung
Erst deuteten die Anzeichen auf Annettes Vater, der Jurij abgrundtief zu hassen schien. Irgendwie steckte er da auch mit drin – neben diversen anderen Dorfbewohnern. Schlussendlich aber war es Dietmar Böhmers Frau Katja, die ihn mit einer Flinte erschoss. Denn Dietmar, der den freiheitsliebenden Jurij sinnbildlich als Ausbruch aus dem alten und Aufbruch in ein neues Leben sah, hatte sich von ihm hinters Licht führen lassen: Er überschrieb ihm aus Naivität und Gutmütigkeit seine Bäckerei und verlor damit auch seine Lebensgrundlage – zum Unmut der ganzen Familie.
Da Katja vom Anti-Jurij-Club gedeckt wurde und Hilfe bei der Entsorgung der Leiche erhielt, steckten am Schluss trotzdem irgendwie alle mit drin.
Die Ermittler
Die Magdeburger Kommissare Brasch und Köhler sind ein Team, das nur auf professioneller Ebene als solches agiert – ein freundschaftliches Verhältnis strahlt ihr Umgang miteinander jedenfalls nicht aus. Ihre Ermittlungen und Funde ergänzen sich zwar, sie sich menschlich aber nicht besonders. Köhlers Kommentare sind meist frech und zynisch und nicht wirklich originell. Brasch spielt die vermeintlich verständnisvolle Zuhörerin à la „Good Cop“ und beendet Ermittlungsgespräche viel zu oft mit dem immer gleichen müden Lächeln. Ein bisschen mehr Charaktertiefe und ein facettenreicheres, weniger vorhersagbares Auftreten hätten sowohl den sonst ziemlich schleppenden Fall als auch das Ermittlerduo mit Originalität aufgewertet.
Fazit
Was sich die Produktion dabei gedacht hat, ist ein kleines Mysterium: „Mörderische Dorfgemeinschaft“. Ein Spoiler als Titel? Ernsthaft? Einen sprechenderen Namen hätte man wohl nicht wählen können. Allen Zuschauern, die den Titel gelesen haben, wurde keine Zeit für Spekulationen geschenkt, denn damit ist der Ausgang schon von Beginn an quasi offensichtlich.
Dass Katja die Mörderin ist, kann man womöglich noch gerade so als Überraschung verbuchen. Was alles andere als überraschend ist, ist die Mittäterschaft des halben Dorfs. Früh zeichnet sich ab, dass viele der Dorfbewohner sich Jurijs Tod wünschen und einer von ihnen zweifelsohne der Täter ist. Es folgt ein Motiv nach dem anderen, man wird regelrecht mit Verdächtigen beworfen. Damit es dann doch noch zu einer total unerwarteten Wendung kommt, ist die als unscheinbar und still gezeichnete Katja die kaltblütige Killerin, die die Nase voll hat und Jurij den Todesstoß versetzt – klasse Plottwist! Originalität gehörte in dieser Produktion wohl nicht zu den Qualitätsanforderungen.
Seltsame Metaphorik
Um die Folge auf eine philosophische Ebene zu erheben, zauberten sie dann folgende Metaphorik aus dem Ärmel: Der zu Beginn gejagte Wolf scheint sinnbildlich für Jurij zu stehen, auch er stört parasitär das immer gleiche und veränderungsresistente Dorfleben. Das ist zwar eine nette Idee, jedoch nicht ganz zu Ende gedacht. Der Jäger verschont das Tier, die Dorfgemeinschaft Jurij aber nicht. So lässt sich der angedeutete Rahmen nicht schließen. Wäre Jurij als sympathisch und wohlgesonnen charakterisiert worden, hätte die Parallele Sinn gemacht, die Handlung an Dramatik gewonnen und zudem wäre ein Statement für mehr Offenheit und Toleranz gesetzt worden. So bestätigt sich letzten Endes nur das Vorurteil, das die Dorfgemeinschaft gegenüber dem „bösen, fremden Russen“ hat, dessen Akzent übrigens alles andere als authentisch ist. Wie wäre es mit russischer Besetzung für eine russische Rolle?
Leider kann der erste „Polizeiruf“ nach der Sommerpause nicht überzeugen. Neben der genannten groben Mängel und dem gehaltlosen Plot sind die Pointen der teils ziemlich schwachen Dialoge abgegriffen und die Auflösung vorhersehbar.