Madame Tussaud - Ein Leben aus Wachs

Berlin - – Was wäre eine London-Visite ohne einen Abstecher zu „Madame Tussauds”? Eröffnet 1835, besuchen pro Jahr 200 Millionen Neugierige das Traditionsmuseum sowie seine inzwischen weltweiten Zweigstellen wie etwa in Berlin, um sich sich an den lebensechten Wachsfiguren heutiger und historischer Prominenter zu ergötzen.
Dazu gehören zum Beispiel alle James-Bond-Charaktere, das Teenie-Idol Benedict Cumberbatch, der Romandetektiv Sherlock Holmes, die königliche Familie Englands oder auch die berühmten Verbrecher in der „Schreckenskammer”. Kaum ein Gast wird aber wissen, welche Persönlichkeit sich hinter der Gründerin und Namensgeberin des Hauses, in dem noch immer nach ihren Handwerksmethoden gestaltet wird, wirklich verbarg. Dem hilft an diesem Samstag (20.15 Uhr) der Kultursender Arte mit einem facettenreichen Porträt ab.
In ihrer Doku „Madame Tussaud. Ein Leben aus Wachs” präsentiert die Regisseurin Nina Barbier eine spektakulär frühemanzipierte Geschäftsfrau, die im Zeitalter der Aufklärung in Paris von den blutigen Wirren der Französischen Revolution genauso profitierte wie sie es später in der britischen Hauptstadt verstand, sich Queen Victoria zu ihrem Fan zu machen. Rahmenhandlung der Koproduktion von Arte France und Gedeon Programmes nach dem Buch von Barbier, Fanny Burdino und Lindsay Shapero bildet das Diktieren ihrer Autobiografie durch die alte und angesehene Marie Tussaud an einen Schreiber. Spielszenen sowie Wortbeiträge von Fachleuten erzählen dazu deren wahre Geschichte. Denn in dem 1838 erschienenen Buch soll die clevere Wachsfigurenkönigin und feinsinnige Kreative ihr Leben erheblich geschönt haben.
Dafür hatte Tussaud in der Tat Gründe, wurde sie doch 1761 in Straßburg im Elsass als Anna Maria Grosholtz als Tochter eines Henkers geboren. Sie war der gesellschaftlichen Ausgrenzung preisgegeben und durfte eigentlich ebenfalls nur einen Scharfrichter heiraten. Doch der Vater starb bereits vor ihrer Geburt und ihre Mutter wurde Hausmädchen bei einem Dr. Philippe Curtius im schweizerischen Bern. Der mit der Ceroplastik vertraute Arzt wurde Anna Marias Lehrer. Und sie seine hoch begabte Schülerin in der Fähigkeit, Tonköpfe zu modellieren, deren Gipshohlformen mit heißem Wachs auszugießen und das Kunsthaupt danach realistisch zu verfeinern. Manchmal arbeitete sie auch nach Totenmasken.
Sogar Madame Élisabeth, die Schwester des französischen Königs Ludwig XVI., hat sich für die Figuren samt ihren authentischen Friseuren und Kleidern begeistert. Nach Paris war die junge Grosholtz mit ihrem Mentor und Geschäftspartner gegangen. Dass beide monarchistisch gesinnt waren, verhinderte nicht, dass die Kunstfertige ab 1789 Aufträge für Totenmasken prominenter Opfer der Revolution ausführte – darunter die des Herrschers, seiner Frau Marie Antoinette sowie der Aufständischen Danton und Robespierre. Die von Marie angefertigten Wachsköpfe waren für das Revolutionsmuseum bestimmt. Nach dem Tod Curtius’ erbte sie 1794 seine Figurensammlung und heiratete einen Ingenieur. Die Tussaud bekam zwei Söhne, ihre Ehe endete in der Scheidung.
Wie sie mit einem von ihnen 33 Jahre lang unter widrigen Umständen über die Jahrmärkte Großbritanniens und Irlands zog, dabei ihr Geschäftsgebaren immer raffinierter ausgestaltete - auch davon erzählt die Arte-Doku. Krönung der Laufbahn der Matriarchin, die trotz der Mitarbeit ihrer Nachkommen bis fast zuletzt das Heft in der Hand behielt, war schließlich die Eröffnung ihres Imperiums an der gutbürgerlichen Londoner Baker Street. Selbst Queen Victoria und ihre Kinder kamen dort regelmäßig vorbei. 1850 starb die Tussaud mit 88 Jahre - sie ruht auf dem Friedhof der St. Marys Roman Catholic Church im Stadtteil Chelsea. (dpa)