"Inspektor Morse": Mord Gefühl und ein entrückter Polizist

München - Krimifans ist „Inspektor Morse” ein Begriff. Ein hochintelligenter Feingeist, der das College geschmissen hat und nun bei der Polizei ist. Seine Fälle löst er mit scharfem Kombinationsvermögen, ein bisschen zynisch und mit einer verhängnisvollen Neigung Zum Alkohol.
Der im März gestorbene Autor Colin Dexter hat 13 Romane über den Inspektor geschrieben. Vor allem in seiner Heimat England hatte er eine treue Fangemeinde. Nicht minder populär: die britische TV-Serie mit John Thaw als verschrobener und schwieriger Ermittler. Rund 30 Jahre später kommt die Vorgeschichte ins Fernsehen: „Der junge Inspektor Morse” geht zurück in die 1960er Jahre, als der Polizist seine Ermittlerkarriere begann. Sie ist ab Donnerstag (1. Juni) im Bezahlformat Cirkus des Streaming-Anbieters Amazon Video zu sehen.
Die Serie bietet solides Krimivergnügen mit einem sympathischen Ermittler, auf dessen Entwicklung man gespannt sein darf, zumal er irgendwelche privaten Geheimnisse zu hüten scheint. Der britische TV-Schauspieler Shaun Evans („Silk - Roben aus Seide”) spielt diesen jungen Endeavour Morse, der noch nicht ganz so abgeklärt und zynisch ist. Er hat das College geschmissen und ist nun bei der Polizei. Er ist romantisch, liebt Opern und Gedichte und trinkt keinen Alkohol. Mit seiner entrückten Art macht er sich bei der Polizei nicht nur Freunde. Doch er kann hervorragend kombinieren und erkennt intuitiv ungewöhnliche Zusammenhänge. Das fällt Kriminalinspektor Thursday auf, der den jungen Mann unter seine Fittiche nimmt.
Die Fälle, in denen Morse ermittelt, sind klassischer Krimistoff. In der Pilotfolge verschwindet ein junges Mädchen, wenig später wird die Leiche eines jungen Mannes entdeckt, der wohl Selbstmord begangen hat. Hat er etwas mit dem Verschwinden der Schülerin zu tun? Oder spielen die Sexpartys mit jungen Mädchen eine Rolle, bei denen sich Gäste aus höchsten Gesellschaftskreisen vergnügen? Ein Fall, der ohne die Hartnäckigkeit des Neulings womöglich im Sande verlaufen wäre, ebenso wie die Ermittlungen in Folge eins der ersten Staffel: Eine angehende Sekretärin und ein Arzt sind tot. Zwei Fälle, die nichts miteinander zu tun haben, so scheint es. Nur Morse glaubt an einen Zusammenhang.
Eingeschworene Fans der alten Morse-Serie sahen die Neuauflage mit Skepsis, schließlich war Hauptdarsteller John Thaw viele Jahre lang der erfolgreichste britische Fernsehkommissar. Als er 2002 starb, würdigte ihn die „Sun” als „Britanniens Lieblings-Bullen”. Große Fußstapfen für Shaun, der seine Sache aber sehr gut macht: ein sympathischer großer Junge, der hilflos wirkt, aber doch genau weiß, was er will.
Und es gibt viele Referenzen an die alte Serie. Morse entdeckt seine Liebe zu Nobelautos der Marke Jaguar. Er kommt auf den Geschmack von Bier, nachdem er zum ersten Mal bei einer Obduktion zugesehen hat und ohnmächtig zusammenbricht. Und als er in einer Szene in den Rückspiegel seines Autos blickt, sieht er darin sein um Jahrzehnte gealtertes Ich, in Gestalt des weißhaarigen Thaw. (dpa)