Interview mit Ingo Zamperoni Ingo Zamperoni: "Den Deutschen fehlt die Lässigkeit"

Köln - Ingo Zamperoni, bisher USA-Korrespondent des ARD-Fernsehens, kehrt zu den „Tagesthemen“ zurück und wird dort an der Seite von Caren Miosga neuer Hauptmoderator. Mit dieser Zeitung sprach er darüber, warum er von den USA ein stückweit enttäuscht ist und wie er seine Zukunft als Anchorman sieht.
Herr Zamperoni, fast immer, wenn Ihr Name fällt, heißt es: Das ist doch der, der in der Halbzeit des EM-Halbfinales 2012, als Italien 2:0 gegen Deutschland führte, diesen Satz „Möge der Bessere gewinnen“ gesagt hat. Würden Sie das heute noch mal genauso machen?
Ja, ich würde das heute noch mal genauso sagen. Das große Problem damals war der Spielstand, hätte es 1:1 gestanden, hätte keiner was gesagt. Ich habe es ja in diesem Sommer wieder genauso erlebt, Italien gegen Deutschland, dieses Mal das Viertelfinale und ich war innerlich wieder zerrissen. Mir tut immer der leid, der nicht weiterkommt. Aber dann schlafe ich eine Nacht drüber und hoffe, dass derjenige, der gewinnt, dann auch den Titel holt. Denn sonst hat sich der Kampf noch nicht mal gelohnt.
Die Aufregung damals war enorm. Haben Sie da keine Schere im Kopf, wenn Sie am Montag bei den „Tagesthemen“ anfangen?
Ich habe mich ein paar Mal gefragt, wie das heute wäre, wo Hass doch noch viel stärker im Netz verbreitet wird. Jetzt, vier Jahre später, wären die Reaktionen sicherlich noch heftiger ausgefallen. Aber davon darf man sich nicht einschüchtern lassen. Es war ja auch so, dass kaum war meine Personalie bekannt, der Vorwurf laut wurde: Ach klar, der ist ja in der Atlantikbrücke (ein deutsch-amerikanischer Lobbyverein, Red.). Dabei bin ich da gar kein Mitglied. Ich habe da einmal ein Austauschprogramm mitgemacht. Die Frage ist: Hält man dagegen oder wirbelt man dann zu viel Sand auf? Ich glaube, dass ich in ein verändertes Land zurückkomme, was Haltung und Stimmung angeht.
Sorgt das dafür, dass man anders an den Job herangeht?
Es gibt Leute, die denken, wir sind alle Teil einer großen Verschwörung. Aber mich hat noch nie ein Politiker oder ein Unternehmen angerufen, um Einfluss zu nehmen. Dass wir da irgendeine Agenda haben sollen, von der CIA gesteuert sind und der Bundesregierung nach dem Mund reden – wo haben manche Leute das her? Aber es hält sich bei ihnen hartnäckig. Der Rechtfertigungsdruck ist sicherlich größer geworden. Ob das dann unterbewusst eine Schere im Kopf auslöst? Ich werde versuchen, mich davor zu hüten.
Sie sind gerade aus den USA zurückgekehrt. Im Gepäck haben Sie Ihr Buch „Fremdes Land Amerika“. Braucht die Welt wirklich noch ein USA-Buch?
Es gibt viele Bücher über Amerika, aber nicht so viele über die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Mein Gefühl ist, dass diese in den vergangenen Jahren aus dem Lot geraten sind und dass vieles davon auf einem Missverständnis basiert. Ich setzte mich seit meiner Kindheit mit den USA auseinander und hatte das Gefühl, es gibt einige Aspekte, die man in einem Buch besser vertiefen kann. Es sollte keine reine Anekdotensammlung und auch kein politisches Handbuch für ein Proseminar werden, sondern genau dazwischen, lesbar und informativ.
„Vielleicht haben wir einen Minderwertigkeitskomplex“
Worin besteht das Missverständnis? Sind wir im Umgang mit den USA besonders kritisch?
Ja, ich glaube schon. Das sehen wir auch im Moment bei TTIP. Wir haben mit zig Ländern Freihandelsabkommen und es war nie ein Thema, aber bei den Amerikanern ist das anders. Da ist mehr Misstrauen, weil wir der Juniorpartner sind: Vielleicht haben wir einen Minderwertigkeitskomplex. Enttäuschte Liebe ist es bestimmt auch. Die Amerikaner haben Westdeutschland mit aufgebaut, haben uns immer wieder Vertrauen geschenkt, auch in der Wiedervereinigung, da dürfen wir doch nicht einfach nur irgendein Partner für sie sein, denken viele, und trotzdem werden wir ausspioniert.
Wir haben ein bisschen das Bedürfnis, eine Sonderrolle bei den Amerikanern zu haben. Die sind da sehr viel pragmatischer. Es gibt sehr viel Sympathie für Deutschland, aber trotzdem sind wir aus deren Sicht zwar ein wichtiges Land, aber eben eines von vielen. Wir glauben, wir sind auf Augenhöhe und müssten so behandelt werden. Und wir sind es ja auch in vielem, aber wir müssen vielleicht in manchen Punkten „bescheidener“ sein.
Warum fällt es uns denn so schwer, die USA realistisch einzuschätzen?
Wir meinen, die USA zu kennen, weil wir oft Urlaub dort machen, die Filme sehen, die Pop-Kultur zu uns rüberschwappt. Aber es ist oft eine Vertrauensillusion. Die zu bestimmten Rückschlüssen führt, und dann sind wir enttäuscht, wenn die Amerikaner sich doch anders verhalten. Es gibt so viele Gegensätze, die keinen Sinn ergeben, diese Widersprüchlichkeit, die dieses Land ja auch faszinierend macht.
Es ist leicht, sich darüber lustig zu machen und zu sagen: Ach die Amis, die spinnen. Doch dadurch entwickeln sie eben auch eine große Kreativität und Unbekümmertheit, die leider ein bisschen verloren gegangen ist, zunächst durch die Anschläge vom 11. September und später die Folgen der Wirtschaftskrise von 2007/08. Aber die USA hatten immer wieder Phasen, wo sich etwas aufgetürmt hat und man dachte, es kippt, und dann wurde aus der Welle neuer Schwung. Eine gewisse Lässigkeit können wir schon von ihnen lernen. Die USA sind nach wie vor ein gesellschaftliches Experiment. Und es ist immer noch ein Land mit einer großen Bedeutung für die Welt, in vielem sind sie einfach richtungsweisend. Was einen Dämpfer bekommen hat, ist die Begeisterung für dieses Land, die ich als Teenager hatte. Es ist das Land mit den meisten Gefängnisinsassen. Welches „Land of the free“ kann das sein?
Die krasse Armut in manchen Gegenden war mir zuvor auch nie so bewusst. Oder: Sie nehmen einfach in Kauf, dass jedes Jahr 30.000 Menschen durch Schusswaffen sterben. Da können sie sich noch so sehr vor Terrorismus schützen, tödlicher sind die eigenen Reihen. Wenn ein Massaker wie das an der Sandy-Hook-Grundschule daran nichts ändert, was soll denn dann noch passieren?
„Donald Trump schürt Ängste“
Sie haben schon mal länger in den USA gelebt. Was hat sich geändert?
Es gibt oberflächliche Merkmale. Die Bier- und Kaffeekultur ist mittlerweile etwa enorm, Fahrradfahren ist normaler, Umweltschutz ist ein viel größeres Thema. Grundlegender betrifft der Unterschied aber das Selbstverständnis der Amerikaner. Das ist erschüttert. Darin liegt auch ein Grund für das Phänomen Trump. In meiner Zeit 1997 bis 2000 gab es einen spürbaren Grundoptimismus. Die USA fühlten sich als Sieger im Kalten Krieg, die Wirtschaft boomte, das neue Jahrtausend stand vielversprechend vor der Tür. Dann kamen 9/11, Wirtschaftskrise, demografischer Wandel. Jetzt ist deutlich mehr politische Polarisierung zu spüren und das Gefühl bei vielen, nicht mehr mitzukommen, abgehängt zu sein. Ein bisschen das, was wir auch in Deutschland erleben. Doch dort ist es stärker und lässt die Gesellschaft immer weiter auseinanderdriften. Ein Donald Trump wäre vor vier oder acht Jahren nicht möglich gewesen.
Erklärt sich so das Phänomen Trump?
Es ist eine Mischung aus verschiedenen Faktoren. Das eine ist, dass Hillary Clinton für viele so eine schlechte Kandidatin ist. Auf dem Papier ist sie großartig, erfahren und hat sich die meisten Lorbeeren verdient. Aber sie ist eben auch Establishment pur, und das ist ein Problem. Das andere Problem ist ihre Glaubwürdigkeit, da gibt es Vorbehalte, Stichwort E-Mail-Server-Affäre. Es wird wieder auf die Wechselwähler ankommen, wie viele wird sie überzeugen können? Zuletzt hat sie sich ja etwas von Trump abgesetzt. Der spricht dagegen Emotion pur an. Da ist vieles nicht recherchiert oder durchdacht. Es geht um Gefühle, das bedient er. Und schürt dabei Ängste.
Reicht das als Erklärung?
Es gibt eine Spaltung im Land. Das Stadtbild ändert sich, die Weißen werden weniger. Dabei ist das Land insgesamt progressiver geworden, die Homo-Ehe ist legal in allen Staaten. Umweltschutz, Globalisierung – da ist viel in Bewegung. Das ist nicht wenigen zu viel auf einmal. Zudem ist da bei vielen Trump-Wählern dieses Gefühl einer Arroganz bei den liberalen, progressiven Eliten aus Wirtschaft, Medien, Politik, die an den Küsten hausen und mit irgendwelchen Dotcoms Kohle scheffeln und sich auch noch moralisch überlegen fühlen. Das kommt ganz schlecht an bei vielen Amerikanern. Und dann sagt einer: „Wir wollen unser Land zurück. We want to make it great again, egal wie.“ Dieses Gefühl haben die Republikaner seit Jahren befeuert, aber sie haben nie geliefert. Viele, die so angestachelt wurden, fragen jetzt: Was haben wir zu verlieren? Dann nehmen wir doch den. Ein US-Journalist hat mal gesagt: „Wer ein Haus abfackeln will, engagiert einen Brandstifter.“ Das ist die Haltung.
Welche Rolle spielen die Medien im Wahlkampf?
Wichtig ist da vor allem Social Media. Man kann in diese Echo-Räume treten und nur das, was man glaubt, als wahr empfinden, weil es ja so viele andere auch wiederholen und tweeten und posten. Die Polarisierung der Medien spielt dabei sicher eine Rolle. Es wird immer schwieriger, Brücken zu schlagen. Wir haben in Deutschland eine Entwicklung, wo sehr viel in die Mitte zieht. Wir haben unter Merkel die zweite große Koalition, in der sich die großen Parteien kaum noch unterscheiden. Dadurch wird Platz an den Rändern frei. Das erklärt ja auch das Phänomen AfD. In den USA ist es genau umgekehrt. Da war früher sehr viel in der Mitte, man konnte Gräben gut überbrücken. Und das hat sich geändert. Bei den Medien ist dann die Frage: Was ist Henne, was ist Ei? Sie haben das forciert und bestärkt, sind aber auch dem Trend gefolgt. Die Medienlandschaft ist zugleich viel zerfranster. Sie ist schneller geworden und jeder kann sich seine Nische einfacher suchen.
„Es ist ein absoluter Traumjob“
Wie unterscheidet sich journalistisches Arbeiten?
Für Fernsehjournalisten unterscheidet sich vor allem die Bildsprache, die ist bei uns viel langsamer. Die Amerikaner haben andere Sehgewohnheiten. Es gibt dort ein extremes Tempo, dadurch ist auch die Kurzatmigkeit viel größer. Das ist die handwerkliche Seite. Der große andere Unterschied ist, dass in den USA Fernsehen und auch Nachrichtenjournalismus viel personenbezogener ist. Auch bei einem Beitrag ist immer der Reporter im Bild. Wir versuchen, die Nachricht in den Mittelpunkt zu stellen.
Wie ist es bei Zeitungen und Radio?
Da ist es handwerklich nicht so unterschiedlich. Es geht um Recherche, um Filtern und Einordnen. Es gibt viele Parallelen zu Deutschland. Unser Journalismus basiert ja auf dem angelsächsischen. Ich könnte etwa nicht in Italien arbeiten, das ist viel blumiger. Was die politische Orientierung betrifft, wird es eigentlich immer entscheidender, Hintergründe anzubieten, das Warum. Denn was passiert ist, kriegt ja jeder sofort aufs Handy. Was den Online-Journalismus angeht, sind die Amerikaner gleichzeitig wesentlich experimentierfreudiger und finden vermutlich eher die Formel, wie Trimedialität am besten funktionieren kann. Was mir aber insgesamt Sorge macht, ist, dass Fakten immer mehr Interpretationssache zu werden scheinen. Vielen Bürgern geht es nur noch um gefühlte Wahrheiten, auf beiden Seiten des Atlantiks. In dieser post-faktischen Welt steckt eine große Herausforderung für den Journalismus.
Mit welchem Gefühl kommen Sie zurück?
Es ist ein absoluter Traumjob, der hier auf mich wartet und darauf freue ich mich sehr. Aber ich will auch nicht verhehlen, dass das kein leichter Abschied war. Es waren drei tolle Jahre und die Möglichkeiten, die man als Auslandskorrespondent in den USA hat, die Bandbreite der Themen – von der Oscarverleihung bis zu Pressekonferenzen im Rosengarten des Weißen Hauses – sind großartig. Aber die Amerikaner sagen: Change is good. Ich hoffe, das wird auch in meinem Fall so sein.
Ingo Zamperoni, 42, studierte Amerikanistik, Jura und Geschichte. Er volontierte beim NDR und moderierte für die ARD unter anderem „Nachtmagazin“ und „Tagesthemen“. Seit Februar 2014 war er USA-Korrespondent der ARD. Nun wird der Deutsch-Italiener einer der zwei Hauptmoderatoren der „Tagesthemen“. Am 24. Oktober ist er erstmals zu sehen. Er hat über seine Zeit als Korrespondent das Buch „Fremdes Land Amerika“ geschrieben.