"Hart aber fair" "Hart aber fair" mit Frank Plasberg zur deutschen Justiz - "Bild"-Chef Julian Reichelt will mehr Härte für Vergewaltiger und Kinderschänder
Worum ging es bei „Hart aber Fair“?
Zusammengefasst um die deutsche Justiz. Doch es zeigte sich schnell, dass das Thema sehr breit und sehr komplex ist. Denn da wären zum einen die Gerichte, die entweder zu faul oder aber maßlos überfordert sind. Zum anderen gibt es die teilweise jahrelang dauernden Prozesse, und außerdem die Urteile, die letztendlich gesprochen werden. Und die, wie Moderator Frank Plasberg anmerkt, schließlich „im Namen des Volkes“ ergehen sollen und oftmals für das Empfinden von Recht und Ordnung in der Bevölkerung verantwortlich sind.
Zahlreiche Beispiele jedoch würden deutlich machen, welche große Diskrepanz zwischen der Rechtsprechung vor Gericht und dem Rechtsempfinden in der Bevölkerung bestehen kann.
Rechtsprechung vs. Rechtsempfinden
Der Moderator führt den Fall aus dem Jahr 2016 an, bei dem mehrere Flüchtlinge an Weihnachten an einer Bahnstation neben einem schlafenden Obdachlosen ein Feuer entzündeten. Der Obdachlose konnte durch das beherzte Eingreifen anderer Fahrgäste unverletzt gerettet werden. Die jungen Männer wurden wegen versuchten Mordes angeklagt. Das Urteil erging wenige Monate später – allerdings wegen versuchter Körperverletzung.
Lediglich einer der Angeklagten musste für zwei Jahre und neun Monate in Haft. Die Übrigen erhielten Jugendstrafen auf Bewährung oder Arreststrafen, die aufgrund der Untersuchungshaft schon abgegolten waren. Wenige Monate später wurden dann zwei von ihnen erneut straffällig: Ihnen wird in einem neuen Verfahren schwerer Raub vorgeworfen. Wie kann so etwas sein?
AfD-Politiker hält Bewährungsstrafen für unbrauchbar
Für Jens Gnisa, Vorsitzenden des Richterbundes, der aufgrund seiner Funktion im Verlauf der Sendung von Moderator Plasberg noch häufiger zum Advokaten der gesamten deutschen Justiz gemacht wird, ist der Ablauf des Verfahrens nachvollziehbar. Anklage und Richter hätten unterschiedliche Aufgaben. Jedenfalls kommt der Jurist zum Schluss, dass das Jugendstrafrecht insgesamt funktioniert: Die Jugendkriminalität sei rückläufig, auch weil die richtigen Signale gesetzt würden.
Roman Reusch, ehemaliger Staatsanwalt aus Berlin und nun Bundestagsabgeordneter für die AfD, sieht das nicht so: Bewährung helfe bei Kriminellen nicht, sondern sei nur etwas für bürgerliche Söhne, „die mal Mist gebaut haben“. Er setzt an, über seine Erfahrungen und Täter mit Migrationshintergrund zu schwadronieren, doch wird schnell vom wütenden Gnisa zurechtgewiesen: „Der Tatbestand im Beispielfall hat nichts mit der Nationalität zu tun!“
Gerhart Baum, Anwalt und ehemaliger FDP-Bundesinnenminister, argumentiert die ganze Sendung über lieber grundsätzlich als über Einzelfälle zu sprechen, die aufgebauscht werden. Baum sagt, der Rechtsstaat funktioniert, auch wenn es immer wieder zu Fehlurteilen komme. Eine allgemeine Richterschelte hält er für nicht zuträglich: „Es gibt unzählige Urteile, die in Ordnung sind.“
Zu lasche Strafen bei Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung?
Julian Reichelt, Chefredakteur der „Bild“-Zeitung hat eine andere Meinung, wie sich bei weiteren Beispielfällen in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch oder Vergewaltigung im Verlauf der Sendung zeigt. In einem dieser Fälle titelte seine Zeitung vor dem Prozess „Sperrt ihn endlich für immer weg!“ und zeigte den Angeklagten unverpixelt bei voller Namensnennung groß im Bild.
Mit Folgen: Der Angeklagte erhielt, wie im Urteil explizit dargelegt wurde, Strafrabatt aufgrund der Berichterstattung der „Bild“-Zeitung, da diese „stigmatisierend“ gewesen sei. (Die Juristen von „Hart aber Fair“ übrigens empfohlen der Redaktion, es der Zeitung nicht nachzutun und den Angeklagten zum Schutz seiner Persönlichkeit unkenntlich zu machen, was auch geschah.)
„Ankläger und Richter in einem?“, fragte Plasberg daraufhin den Zeitungschef. Der bezeichnete das Urteil als „bitter“ aber stand zur Entscheidung seines Blatts: Denn seiner Auffassung nach dürfen besonders schwere Straftäter so gezeigt werden, da sie mit ihrem Gesicht und ihrem Namen für ihre Taten geradestehen müssten: „Ich würde das immer wieder so tun“, sagte Reichelt.
Sicherheitsverwahrung ist nicht einfach durchzusetzen
Er ist zudem der Meinung, dass viele Strafen vor allem in Zusammenhang mit Kindesmissbrauch und Vergewaltigung zu gering ausfallen („Mindestens zwei Jahre ohne Bewährung – das ist lächerlich“) und sich etwa ohne Sicherheitsverwahrung die Gefahr erhöhe, dass Täter erneut straffällig werden („Haben Sie schon mal von einem Kinderschänder gelesen, der das zum ersten Mal macht?“). Allein um potenzielle zukünftige Opfer zu schützen, sollten die Strafen seiner Ansicht nach erhöht werden.
Jurist Gnisa widerspricht den Ausführungen des Journalisten teilweise und führt gemeinsam mit Gerichtsreporterin Gisela Friedrichsen („Die Welt“) an, dass die Sicherheitsverwahrung hohen rechtlichen Auflagen unterliege und Richter an Gesetze gebunden seien. Laut Gnisa hat sich jedoch bereits viel in Sachen sexueller Missbrauch getan: Jedes 400. Urteil stehe damit in Verbindung, jedes 5. Urteil davon mit Sicherheitsverwahrung.
Misshandlung – Mutter wartet jahrelang auf Prozess gegen Erzieherinnen ihrer Tochter
Sind die Gerichte überfordert?, wollte Plasberg von seinen Gästen wissen. Den Zahlen zufolge nicht: Die Anzahl der Verfahren an Amts- und Langerichten sind einem Einspielfim zufolge zwischen dem Jahren 2006 und 2016 von rund 850.000 auf etwa 630.000 zurückgegangen. Im selben Zeitraum ist gleichzeitig die Zahl der Richter von 14.700 auf mehr als 15.000 Richter gestiegen. Kurz: Mehr Richter bearbeiten weniger Fälle. Dennoch kann es Gnisa zufolge zu vielen Verzögerungen an Gerichten kommen, entweder weil Fälle mit Untersuchungshaft vorgehen, oder aber weil andere Verfahren aufgrund von zahlreichen Anträgen der Verteidigung sinnlos in die Länge gezogen werden.
Was kann getan werden?
Dass Fälle hinten anstehen müssen, kann schließlich Irina Enting, Lehrerin aus der Nähe von Koblenz, beispielhaft schildern. Die Mutter von drei Kindern wartet bereits seit mehreren Jahren auf den Beginn des Prozesses gegen vier Erzieherinnen der Kindertagesstätte, in die Enting ihre Töchter geschickt hat. Die Angeklagten sollen dort über längere Zeit mehrere Kinder zwangsgefüttert, eingesperrt und misshandelt haben.
Die juristische Hängepartie macht der Mutter und den Kindern schwer zu schaffen. Die Mutter ist vor allem in Sorge, dass die Vorwürfe nach all der Zeit nicht mehr vollständig geklärt werden können. Sie halte nur durch, weil ihre älteste Tochter sich auch wünscht, dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden.
Schwarzfahren sollte die Gerichte nicht mehr beschäftigen
Jurist Gnisa kann den Ärger der Mutter nachvollziehen und plädiert an dieser Stelle für eine Reform der Strafprozessordnung, damit Verfahren in Zukunft beschleunigt werden können. Gerhart Baum fügt hinzu, dass die Gesetze aufgeräumt werden müssten. So sollte in Zukunft etwa das „Schwarzfahren“ als Ordnungswidrigkeit geahndet und verfolgt werden. Das sei keine Aufgabe von Gerichten. Laut „Hart aber Fair“ wurden 250.000 Fälle wegen Fahrens ohne Fahrschein im Jahr 2016 bearbeitet. Gnisa zufolge sind es sieben Prozent aller Fälle vor Gericht. Hier könne man ansetzen.
Zum Schluss wirft Anwalt Baum noch eine weitere Idee in den Ring: „Das Betäubungsmittelgesetz entrümpeln.“ „Kiffen straffrei machen?“, fragt Moderator Plasberg daraufhin ungläubig, „das Thema fasse ich jetzt nicht mehr an. Das ist eine eigene Sendung mit vielen verschiedenen Meinungen.“ Vielleicht ja schon in ein paar Monaten, wenn dann mal eine neue Regierung steht.