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Günter Wallraff: unbeugsam, umstritten, manisch

09.10.2017, 09:30
Viel auf Achse: der Journalist Günter Wallraff. Foto: Henning Kaiser
Viel auf Achse: der Journalist Günter Wallraff. Foto: Henning Kaiser dpa

Köln - Marathonmann, Betriebsstörer, Auflagenmillionär, Erfinder eines neuen Journalismus. Aber auch eine umstrittene, unbeugsame Figur und ein Einzelgänger.

Kurz nach dem 75. Geburtstag des Undercover-Reporters Günter Wallraff zeigt RTL eine Doku über den Bestsellerautor - auch mit kaum bekannten oder gänzlich unbekannten Seiten und Facetten. Zu Wort kommen darin der „Bild”-Ex-Herausgeber Kai Dieckmann, der „Zeit”-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo und die TV-Moderatorin Sandra Maischberger. Der Sender strahlt „Wallraff war hier” am Montag (9. Oktober) im Rahmen eines Themenabends ab 22.15 Uhr aus.

Dieckmann, der den jahrelangen Konflikt Wallraffs mit dem Springer-Verlag bereinigen wollte, nennt den 75-Jährigen „ein stückweit neurotisch”. Er bewundere dessen Ausdauer und Leidenschaft. Dieckmann stellt zugleich fest: „Er hat einen wahnsinnigen Ehrgeiz.” Maischberger sagt: „Er ist ein manischer Journalist, wahrscheinlich ein Gerechtigkeitsfanatiker”. Einer, der „kompromisslos sein Ding durchzieht.” Und di Lorenzo hält den Kölner Autor für einen Getriebenen und für jemanden, der „auch Angst davor hat, verwundet zu werden.”

Autor Lutz Hachmeister fährt mit Wallraff, der am 1. Oktober 75 Jahre alt geworden ist, für den einstündigen Film an wichtige Orte seines Lebens. Nach Athen, wo Wallraff 1974 nach seinem Protest gegen die Militärdiktatur 77 Tage lang inhaftiert war, Misshandlungen, Läuse, Krätze erlebte, dann eine Schreibblockade. Oder nach Portugal, wo sich er sich einst einer Landkommune angeschlossen hatte.

Auch nach Hannover führt die Doku. Dort hatte Wallraff unter dem Namen Hans Esser bei der „Bild” angeheuert und deren Arbeitsmethoden später in seinem Buch „Der Aufmacher” (1977) angeprangert. Thematisiert werden auch zermürbende Prozesse und Anfeindungen nach dem Millionenseller „Ganz Unten” (1985), in dem Wallraff seine als Türke Ali erduldeten Schikanen schildert.

Stasi-Vorwürfe, die sich später als haltlos erweisen, setzen ihm ebenfalls spürbar zu. Wallraff zieht sich zurück, sucht Ruhe im Amazonasgebiet. Nach langer Schaffenspause ist es di Lorenzo, der ihn wieder zum Schreiben bringt - viele Reportagen für das „Zeit Magazin” entstehen. Umstritten ist sein Einsatz als angeblicher Somalier, die Reportage und seine Maskerade ernten auch Kritik. 2012 beginnt dann die Arbeit für RTL mit dem „Team Wallraff”. 

Der Grimme-Preisträger Hachmeister sagt nach den Dreharbeiten, Wallraff sei „notorisch aktiv, immer im Einsatz für andere - aber er hat auch eine Sehnsucht nach dem Alleinsein”. Obwohl er Privates sonst meist abschirmt - Wallraff ist in dritter Ehe verheiratet und hat fünf erwachsene Töchter - lässt er nun einige persönliche Einblicke zu.

So schildert seine Tochter Ines, dass es schwierig gewesen sei mit einer politischen, öffentlichen Person als Vater. In einem Ausschnitt sagt Mutter Johanna auf Kölsch, der Günter habe sich ja nie gerne gut angezogen, immer diese „Blue Jeans”. Am Ende zeigt Wallraff erstmals sein „Geheimstes”: eine Höhle als Rückzugsort irgendwo auf einer Atlantikinsel, wo er sich sammelt, wenn wieder einmal „alles zu viel wird”. (dpa)