Neu im Kino Deutsche Oscar-Hoffnung „Die Saat des heiligen Feigenbaums“
Mohammad Rasoulofs „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist deutscher Oscar-Kandidat. Über einen Film, der seinen Macher ins Gefängnis hätte bringen können.
Berlin/Hamburg - Manchmal holt die Wirklichkeit das Kino ein. Zum Beispiel im Fall von Mohammad Rasoulof und seinem neuen Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“, der für Deutschland ins Rennen um eine Oscar-Nominierung geht. Vor der Premiere seines Politthrillers wurde Rasoulofs Leben selbst zu einem Krimi.
Während der Dreharbeiten wurde in seinem Heimatland Iran eine über achtjährige Haftstrafe gegen ihn verhängt - wegen seiner Filme und seines sozialen Aktivismus. Rasoulof, der zu dieser Zeit noch im Iran lebte, war schon früher in Haft. Sein Pass wurde von der iranischen Regierung 2017 beschlagnahmt und er erhielt ein Ausreiseverbot.
Ein seltener Gänsehaut-Moment im Kinosaal
Kurz bevor sein Film „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ im Wettbewerb des Filmfests Cannes Premiere feiern sollte, kam dann die Nachricht: Der Regisseur hat sein Heimatland unerlaubt über die Berge verlassen. Wird er also überraschend zur Premiere kommen? Das Festival ließ seine Besucherinnen und Besucher im Unklaren.
Als Rasoulof schließlich, nach einer fast einmonatigen Flucht, den Festivalpalast zur Premiere betrat, gab es überwältigende Reaktionen. Die längsten Standing Ovations des Jahres, Tränen, Jubel, Szenenapplaus. Es war ein Gänsehaut-Moment, wie es ihn im Kino nur selten gibt.
Weil Rasoulof aber nicht nur ein politischer Mensch ist, der für seinen Mut bewundert wird, sondern auch ein talentierter Filmemacher, geht sein Film nun für Deutschland ins Oscar-Rennen. Das ist nachvollziehbar - denn „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ ist ein clever konstruierter, so politischer wie emotionaler Film.
Darum geht es
Der Film erzählt von den Protesten im Iran nach dem Tod der jungen Kurdin Jina Mahsa Amini im September 2022. Aber er handelt auch von weiblicher Komplizenschaft, Familiendynamiken, Liebe und Erwachsenwerden. Im Zentrum steht eine Familie, deren Mitglieder ganz unterschiedlich auf die Proteste reagieren.
Auf der einen Seite stehen der streng gläubige Vater namens Iman (Misagh Zare), der seit Kurzem als Ermittler beim Islamischen Revolutionsgericht arbeitet, und seine Frau Najmeh (Soheila Golestani). Auf der anderen Seite sind ihre beiden Töchter im Teenager-Alter, die mit den Protesten sympathisieren.
Nach seiner Beförderung wird Iman genötigt, in seinen Berichten Todesurteile zu empfehlen, bevor er einzelne Fälle überhaupt untersucht hat. Er hat Bedenken, wird zunehmend paranoider und hat Angst, seinen Job wieder zu verlieren. Er bekommt eine Waffe, die er zu Hause lagert - bis sie eines Tages verschwunden ist. Iman verdächtigt seine Töchter, die Pistole gestohlen zu haben, und die Lage schaukelt sich immer mehr hoch.
Neues Verfahren gegen die Filmemacher eingeleitet
Rasoulof hat diesen Film, der wie ein Kammerspiel beginnt und mit einem unerwarteten Plot Twist endet, heimlich gedreht. Weil er sich in seinen Filmen kritisch mit den politischen Bedingungen im Iran auseinandersetzt, wurde er mehrmals angeklagt, mit Berufsverboten belegt und auch zu Haftstrafen verurteilt. Zwischen 2022 und 2023 war er sieben Monate im Evin-Gefängnis und erfuhr dort von den Protesten.
Nun wurde gegen den Filmemacher, die Schauspieler und einige Mitglieder der Filmcrew im Iran ein neues Verfahren wegen „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ eingeleitet. Wann die Verhandlung sein wird, ist noch unklar. Einige Beteiligte halten sich inzwischen außerhalb des Irans auf - aber nicht alle.
Gefängnis oder Flucht
Rasoulof selbst hatte nur wenige Stunden Zeit, sich zum Gehen zu entscheiden. „Damals habe ich mir gedacht: Entweder werde ich ein Filmemacher, der als Opfer ins Gefängnis kommt, oder ich finde eine Gelegenheit, die mich weiter Filme machen lässt“, sagt er im Interview. „Und dann habe ich mich dazu entschieden, dass ich nicht zulasse, als Opfer weiterleben zu müssen.“
Leute, die er aus dem Gefängnis kannte, hätten ihn dabei unterstützt. „Der gesamte Ablauf hat 28 Tage gedauert. An der ersten Grenzstadt konnte ich das Land nicht verlassen. Ich musste zu einer anderen Stadt gehen, und nach langen Tagen und Wegen über die Berge konnte ich das Nachbarland erreichen.“
Dort habe Rasoulof das deutsche Konsulat kontaktiert und Hilfe bekommen. „Während dieser Zeit habe ich weiterhin zusammen mit meinen Kollegen in der Ferne an der Postproduktion gearbeitet.“ Inzwischen wohnt Rasoulof in Hamburg, wo auch seine Tochter lebt.
Kritik an der deutschen Oscar-Entscheidung
Weil „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ größtenteils in Deutschland produziert wurde, ist es möglich, dass der Film deutscher Oscar-Kandidat wird - obwohl er auf Farsi gedreht ist und von einem dezidiert iranischen Thema handelt. Das irritierte manche Leute.
„Meine Nominierung war eine Vorgehensweise, die nicht üblich ist“, sagt Rasoulof selbst. „Das ist eine neue Denkweise und da ist es nachvollziehbar, dass es Widerstand dagegen gibt. Und ich kann die Kritiken auch verstehen. Es überrascht mich nicht, dass viele erwartet haben, dass der deutsche Beitrag ein Film auf Deutsch, über und für Deutschland ist. Aber heutzutage ist die Regel, dass die Sprache egal ist. Dass egal ist, welche Geschichte erzählt wird. Die Hauptsache ist, wo es produziert wurde. Und diese Voraussetzung haben wir erfüllt.“
Man fragt sich, ob Kritikerinnen und Kritiker der Entscheidung, diesen Film für Deutschland ins Rennen zu schicken, „Die Saat des heiligen Feigenbaums“ gesehen haben. Dass dieses packende Stück Kino in der kommenden Preissaison gute Chancen hat, ist nach dem Schauen recht offensichtlich.