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Der Anständige. Heinrich Himmler

13.11.2017, 23:01
Wie konnte aus dem nationalistischen Kleinbürgersohn Heinrich Himmler jener enge Gefolgsmann Hitlers werden, der die Strategien zur Ermordung von Millionen Juden, Homosexuellen, Kommunisten, Sinti und Roma entwarf und durchführte? Foto: ARTE France/Medienwerkstatt Wien
Wie konnte aus dem nationalistischen Kleinbürgersohn Heinrich Himmler jener enge Gefolgsmann Hitlers werden, der die Strategien zur Ermordung von Millionen Juden, Homosexuellen, Kommunisten, Sinti und Roma entwarf und durchführte? Foto: ARTE France/Medienwerkstatt Wien ARTE France

Berlin - Heinrich Himmler gehörte zur ersten Reihe der Nazis. Er war neben vielem anderen „Chef der Deutschen Polizei” und vor allem „Reichsführer SS”, verantwortlich für die Verfolgung und Ermordung von politischen Gegnern und für den Holocaust.

„Der Anständige” heißt der Film, den die in Belgien aufgewachsene und in Israel lebende Regisseurin Vanessa Lapa über ihn gedreht hat. Schon das klingt wie eine Provokation. Aber genauso hat er sich selbst gesehen: als einen, der auch in schwierigsten Zeiten anständig geblieben ist. Arte zeigt den ungewöhnlichen, gelungenen Film an diesem Dienstag um 20.15 Uhr.

Ungewöhnlich aus mehreren Gründen: Einmal, weil er auf authentischem Material basiert. Vanessa Lapa lässt Schauspieler wie Sophie Rois und Tobias Moretti Passagen aus Tagebüchern, Briefen und Dokumenten von Himmler, seiner Frau Margarete, seiner Tochter Gudrun und seiner Geliebten Hedwig vorlesen. Hinzu kommen zahlreiche Fotos und viele historische Filmaufnahmen - von Paraden der Nazis, vom Alltag in Berlin, vom Familienleben der Himmlers in Gmund am Tegernsee oder von ausgemergelten KZ-Häftlingen.

Ungewöhnlich ist zum anderen die Herkunft der Tagebücher, Briefe und Fotos: US-Soldaten, die im Mai 1945 Himmlers Haus besetzten, haben sie dort gefunden. Auf ungeklärte Weise sind sie nach Tel Aviv gekommen und blieben dort jahrzehntelang unbeachtet, bis die Filmemacherin auf Umwegen davon erfuhr. Ihr Vater habe versucht, sie zu überzeugen, etwas damit anzufangen, erzählte Lapa dem Deutschlandfunk, als der Film 2014 bei der Berlinale gezeigt wurde. „Das hat einige Monate gedauert.”

Lapa hat den Film ihren Großeltern gewidmet, Überlebende des Holocaust. Er skizziert Himmlers Leben, der als Schulkind Nickelbrille trug, Klavier spielte und im Tagebuch festhielt, dass er mit Mutti in die heilige Messe geht. Wie ist aus diesem angepassten Durchschnittskind aus bürgerlichem Haus ein Rassenfanatiker geworden?

Das kann auch Vanessa Lapas Film nicht erklären, aber er illustriert die Widersprüchlichkeit dieses Menschen gut, der schon als junger Erwachsener das Germanentum idealisierte, zu Homosexuellenhass und Antisemitismus neigte, in der Weimarer Republik die Führung der SS übernahm und die Organisation massiv vergrößerte.

Briefe an Margarete unterzeichnet er zu der Zeit mit „dein Heini” und schwärmt von ihren „lieben, treuen, blauen Augen”. „Ich will und werde dich nie enttäuschen”, verspricht er ihr. Aber auch: „Ich kann niemals ab von meiner Pflicht.”

Als Himmler im Zweiten Weltkrieg maßgeblich den Holocaust mitverantwortet, sendet ihm seine Frau per Post weiterhin „Grüße und Küsse”. Seine Tochter, die er Püppi nennt, schreibt an ihren „geliebten, lieben Papi”. Zwischen solchen Zitaten sind dann Filmszenen von Erschießungen zu sehen.

Zu Bildern von Himmlers Besuch im Vernichtungslager Auschwitz gehört das Zitat aus einem Brief an die Familie, in dem er sich fragt, ob er aus dem KZ wohl nach Hause telefonieren kann. Es ist dieser brutale Kontrast, der Vanessa Lapas Film so eindrücklich macht: das Nebeneinander von Massenmord und privater Idylle.

Im letzten Brief an seine Frau behauptet er, alles werde sich noch zum Guten wenden und schickt ihr wieder „viele liebe Bussi und Grüße” - kurz danach sind die Aufnahmen seiner Leiche zu sehen. Himmler brachte sich mit Zyankali um, nachdem er am 21. April 1945 gefangen genommen worden war. Dass die Alliierten ihn nicht für so anständig halten würden, wie er sich selbst gerne sah, war ihm sicher klar. (dpa)