1. MZ.de
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. TV & Streaming
  6. >
  7. Totes Baby: Bild des ertrunkenen Flüchtlingskindes: Aufnahmen wie diese erschüttern, ändern aber doch nichts an der Flüchtlingssituation

Totes Baby Bild des ertrunkenen Flüchtlingskindes: Aufnahmen wie diese erschüttern, ändern aber doch nichts an der Flüchtlingssituation

Von Martin Steinhagen 31.05.2016, 12:22
Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Sea-Watch hält das tote Baby. Die Redaktion hat sich entschieden, den Körper des Kindes unkenntlich zu machen.
Ein Mitarbeiter der Hilfsorganisation Sea-Watch hält das tote Baby. Die Redaktion hat sich entschieden, den Körper des Kindes unkenntlich zu machen. Sea-Watch

Vom Aushaltenmüssen hatte Innenminister Thomas de Maizière (CDU) im April gesprochen, einige Wochen aushalten, ein „paar harte Bilder“.

Jetzt ist wieder ein Bild auszuhalten: Ein Baby, fast nackt, liegt in den Armen eines bärtigen Mannes mit Helm, dessen große Hände in dicken Gummi-Handschuhen stecken. Er hält es behutsam, als schliefe es. Kurz zuvor hat der Mann das Kind aus dem Mittelmeer gezogen.

Es hat den Versuch, Europa zu erreichen, nicht überlebt – wie mehr als 700 andere Menschen in den vergangenen Tagen, schätzt das UN-Flüchtlingshilfswerk.

In der sogenannten Flüchtlingskrise, die eine humanitäre Krise ist, entstehen immer wieder Bilder und Diskussionen darum. Bilder, denen große Macht zugesprochen wird: Zahllose Fotos zeigen das Leid der Fliehenden und Geflüchteten, kenternde Boote, den Budapester Bahnhof Keleti, die Zustände im jetzt geräumten Camp bei Idomeni.

Elemente der Abschreckung

Für die einen sollen solche Bilder aufrütteln, den EU-Verordnungen, Deals und Abkommen ein Gesicht geben. Für andere ist ihr vermeintlicher Effekt auf diejenigen wichtiger, die ihre Flucht noch vor sich haben: Die „Fotos aus Idomeni wirkten, mancher in der EU setzte darauf, als Korrektive zu den Flüchtlings-Selfies der Kanzlerin“, hieß es in der FAZ. Einer „geordneten Migrationspolitik“ dürften eben „Elemente der Abschreckung nicht fehlen“.

Zur Ikone geworden ist längst das Foto des toten Jungen namens Aylan Kurdi aus Syrien am türkischen Mittelmeerstrand vom vergangenen September. Jetzt wird das Bild des bisher namenlosen Babys um die Welt gehen, das leblos aus dem Meer vor Libyen geborgen wurde.

Diese Bilder, die viele Betrachter sicherlich berühren, werden wegen ihrer angeblichen Macht von anderen gefürchtet. Das mit dem Aushalten, hatte vor de Maizière schon einmal jemand gefordert, Alexander Gauland von der AfD. „Wir müssen die Grenzen dichtmachen und dann die grausamen Bilder aushalten. Wir können uns nicht von Kinderaugen erpressen lassen“, sagte er im Februar.

Die Bilder ändern nichts an der Motivation der Flüchtlinge

Seine Sorge war wohl unbegründet, denn so mächtig sind die Bilder offenbar nicht. Auch nach dem Jungen aus Syrien sind weiter Menschen im Mittelmeer ertrunken, auch heute machen sich wieder Verzweifelte auf den Weg.

„Wir entziehen den Schleppern das Geschäftsmodell“, erklärte de Maizière im April. Es ging um die Kooperation mit der Türkei. Die ersten Flüchtlinge, die von dort nach Griechenland gelangt waren, sind inzwischen abgeschoben worden. „ Auch wenn wir jetzt einige Wochen ein paar harte Bilder aushalten müssen, unser Ansatz ist richtig.“

Vor allem eins hat sich geändert: Die Routen

Am Geschäftsmodell der Schlepper hat sich seither wohl vor allem eines geändert: die Routen. Wer die Bilder dazu nicht aushalten will, wird legale Fluchtwege schaffen müssen, wie Hilfsorganisationen seit Jahren fordern. Die Macht, das zu erreichen, zu „erpressen“ wie Gauland vielleicht sagen würde, wird auch das neuste Foto eines weiteren toten Kindes wohl nicht haben.

Das mit dem Aushalten hat bisher stets funktioniert. Ertragen müssen das andere. Ihnen dürfte die Frage, ob solche Bilder die Europäer bewegen, ob sie gedruckt werden oder nicht, derzeit mehr als gleichgültig sein, solange sich nichts ändert.