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Berichterstattung zum Amoklauf Berichterstattung zum Amoklauf in München: Die Unsicherheit der Medien in Zeiten des Nichtwissens

Von Frank Junghänel 24.07.2016, 18:11
Tagesschau-Sprecher Jens Riewa mit dem Außenreporter bei der Live-Schaltung nach München.
Tagesschau-Sprecher Jens Riewa mit dem Außenreporter bei der Live-Schaltung nach München. Screenshot ARD

Am Tag danach gab es viel Lob für das professionelle Handeln der Münchner Polizei. Viel Kritik indes wurde zur Live-Berichterstattung des Fernsehens geäußert, dessen Versuche, mit den Ereignissen vor Ort in irgendeiner Weise Schritt zu halten, über weite Strecken hektisch und orientierungslos wirkten. Nun ist es so, dass sich die Reaktion auf einen Anschlag wie in München nicht im Detail trainieren lässt, jede Übung kann nur eine mögliche Variante durchspielen. Allerdings war am Freitagabend dann bald die Rede davon, dass bei einer sogenannten Terrorlage im Zusammenwirken der Sicherheitskräfte bestimmte Abläufe ausgelöst würden, geprobte Automatismen, wenn man so will.

Die Polizei verfügt vernünftigerweise über ein Konzept, wie sie auf einen möglichen Terroranschlag reagiert. Das Medium Fernsehen, über das sich wohl immer noch die Mehrheit der Bevölkerung in einer Gefahrensituation informiert, lässt dies vermissen. Die Sender üben vor laufender Kamera, wie es am Freitag zu beobachten war.

Groteske Berichterstattung

Dabei verfolgten die öffentlich-rechtlichen Programme von ARD und ZDF unterschiedliche Strategien. Für den Zuschauer war jede der beiden Varianten gleichermaßen unbefriedigend. Die ARD sendete ab der Tagesschau nonstop. Ihr Moderator Jens Riewa wirkte gefasst und ließ sich auch nicht aus der Ruhe bringen, als ein paar Schaltungen nicht klappten.

Das Problem waren die Schaltungen selbst. Denn bald zeichnete sich ab, dass nicht einer der immer wieder aufgerufenen Kollegen, die einem nur noch leidtun konnten, irgendetwas Erhellendes zu den Geschehnissen beitragen konnten.

So nahm die Berichterstattung groteske Züge an, wenn Riewa den Außenreporter über die Meldungslage informierte, die dieser bestätigen sollte, was er aber nicht konnte, weil er ja nichts wusste.

Wenn sich die ARD Gedanken um ein eigenes Terrorkonzept macht, was angeraten scheint, sollte sie auch darüber nachdenken, wie sinnvoll es ist, ihre Reporter immer wieder mit Fragen zu penetrieren, von denen jeder vorher schon weiß, dass sie nicht zu beantworten sind.

Beim ZDF wurde der Zuschauer auch nicht schlauer, denn dort lief erstmal ein alter Freitagskrimi. Das ist natürlich auch keine Lösung. Später meldete sich Claus Kleber und stocherte genauso im Nebel des Ungewissen wie nebenan Kollege Thomas Roth, der in der ARD von Jens Riewa übernahm. Nun kann man ihnen allerdings kaum den Vorwurf machen, nichts zu wissen.

Die Frage ist viel eher, wie man als Medium mit dem Nichtwissen umgeht, wie man es aushält, nicht informieren zu können – und in seiner Not nicht Information simuliert. Das Live-Medium Fernsehen ist da besonders gefordert. Vielleicht ist es tatsächlich geraten, mehr Gelassenheit zu zeigen, öfter innezuhalten, so schwer es in diesen Zeiten fällt, die aus guten, schlechten Gründen, immer mehr von Hysterie und Panik gekennzeichnet sind. Also erst senden, wenn man wirklich etwas weiß. Aber dann ist man wieder beim ZDF vom Freitag und „Ein Fall für zwei“.

Viele Falschmeldungen

Und dann gibt es ja auch noch Twitter, Youtube et cetera. Die Nachrichtenlage wird längst nicht mehr nur vom Pressesprecher der Polizei bestimmt, sondern auch von den sozialen Medien. Etliche der Postings über den Anschlag von München erwiesen sich als Falschmeldungen, andere hingegen halfen der Polizei bei den Ermittlungen. Live-Medien wie das Fernsehen stehen in der Verantwortung, Gerüchte von Wahrheiten zu unterscheiden, was auf die Schnelle fast unmöglich ist.

Es gibt allerdings einen Satz der sich in jeder Lage verbieten sollte: „Wir können bisher nur spekulieren.“ Wenn Deutung vor Erkenntnis geht, ist der seriöse Journalismus am Ende. Es wurde viel gedeutet an diesem Abend von München.