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Streaming Immer teurer, immer langweiliger - Warum die wunderbaren Jahre mit Netflix vorüber sind

In den Corona-Jahren schien der Siegeszug von Netflix, Amazon Prime, Apple TV und Disney+ unaufhaltsam. Doch nach einer Serie von Preiserhöhungen scheint es, als hätten die Anbieter ihre Karten allmählich überreizt.

Von Steffen Könau Aktualisiert: 11.03.2024, 14:58
Mehr als eine Milliarde Menschen schaute sich die erste Staffel der südkoreanischen Serie „Squid Game“ bei Netflix an.
Mehr als eine Milliarde Menschen schaute sich die erste Staffel der südkoreanischen Serie „Squid Game“ bei Netflix an. Foto: Netflix

Halle. Auf einmal waren die Menschen in den pinkfarbenen Anzügen überall. Die Gesichter vermummt, die Oberkörper mit schweren Waffen behängt und mit seltsamen Symbolen gekennzeichnet, eroberten die Helden der Streaming-Serie „Squid Game“ binnen kürzester Zeit ein gewaltiges Stück öffentlicher Aufmerksamkeit.

Die neun Folgen des tödlichen Dramas liefen ausschließlich beim kostenpflichtigen US-Video-Portal Netflix. Dennoch hatte der südkoreanische Regisseur Hwang Dong-hyuk geschaffen, was in den großen Tagen des linearen Fernsehens „Straßenfeger“ genannt wurde: Eine Serie, die jeder sehen wollte. Filme, die am Morgen danach Tagesgespräch waren.

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Netflix zieht Milliarden vor die Glotze

Binnen von nur vier Wochen lief die Serie auf mehr als 140 Millionen Netflix-Konten. Das waren fast doppelt so viele wie bei der bis dahin erfolgreichsten Serie „Bridgerton“. Die damaligen Netflix-Regeln erlaubten, dass fünf, sechs Haushalte mit einem Konto gleichzeitig schauen konnten.

Weltweit schauten wahrscheinlich Milliarden dabei zu, wie der verschuldete und glücksspielsüchtige Gi-hun versuchte, verrückte Spiele gegen hunderte anderer Kandidaten nicht nur zu gewinnen, sondern sie erst einmal irgendwie zu überleben.

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Algorithmus bringt Netflix an die Streaming-Spitze

Es kam alles zusammen. Der US-Anbieter Netflix, 1997 als DVD-Versandunternehmen gegründet, hatte über Jahre irrwitzige Summen in Eigenproduktionen investiert. Dank der Analyse der hauseigenen Abrufstatistiken wusste die vom studierten Mathematiker Reed Hastings geleitete Firma aus Kalifornien nun ganz genau, welche Art von Filmen und Serien zu Erfolgen werden.

Netflix schießt sie in Serie ab: Neben „Squid Game“ werden „Stranger Things“ und „Wednesday“, „Monster“, „Haus des Geldes“ und „The Night Agent“ zu Welthits. Parallel dazu läuft es auch beim Konkurrenten Amazon Prime prima: Serien wie „Reacher“ und „The Boys“ ziehen Millionen in den Bann. Disney+, erst 2019 gestartet, punktet mit Kinohits, Oscar-Meisterwerken wie Spielbergs „West Side Story“ und Eigenproduktionen wie „Ein Sachse“, einem Thriller nach dem Leben von Samuel Meffire, dem ersten schwarzen Polizisten Sachsens.

So traurig und alt sind die aktuellen Streaming-Charts.
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Justwatch

Corona Pandemie half Netflix und Co. zum Erfolg

Unaufhaltsam scheint der Siegeszug, durch die außergewöhnlichen Umstände der Pandemiezeit begünstigt. Kinos sind geschlossen. Kneipen ebenso oder später nur mit Impfnachweis und Maske zu betreten.

Es gibt keine Konzerte, im Lockdown nicht einmal Besuche bei Verwandten und Freunden. Menschen bleiben mehr zu Hause als jemals zuvor. Und schneller als sonst irgendwann sind sie der ewigen Wiederholungen bei ARD, ZDF und den Privatsendern im linearen TV und in deren bescheidenen Mediatheken überdrüssig.

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Alles an den Streaming-Anbietern ist da unwiderstehlich. Netflix kostet nicht einmal einen halben Rundfunkbeitrag. Bei Amazon gibt es für zehn Euro noch den kostenlosen Versand für Bestellungen im Online-Kaufhaus dazu. Disney+ lockt mit einem Taschengeldpreis von sieben Euro. Und der in „Wow“ umbenannte Klassiker Sky, ehemals „Premiere“, bleibt mit 5,98 Euro im Monat selbst noch unter diesem verführerischen Angebot.

Alte Stars wie Kevin Costner und alte Ideen müsse für Nachschub herhalten.
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IMAGO/Album

Es sind wunderbare Jahre für Filmfans, aber auch für Drehbuchautoren, Regisseure und Schauspieler. Geld spielt keine Rolle, denn alle Streaminganbieter zielen darauf, Masse zu mobilisieren.

Mit den ausufernden Serien wird das Kino neu erfunden. Statt des schnellen 90-Minuten-Formates können Geschichten nun in zehn Folgen über 450 Minuten erzählt werden, gern auch in fünf oder zehn Staffeln. Hochbezahlte Stars wechseln aus Hollywood ins Heimkino. Programmmagazine ergänzen ihr Angebot um Streaming-Hinweise. Bei den Oscar-Verleihungen räumen Netflix und Co. ein halbes Dutzend Preise ab.

Hat der Netflix-Boom ein Ende?

Ausgerechnet der Höhepunkt des Erfolges aber entpuppt sich nun als Anfang vom Ende der heißen Liebesbeziehung zwischen den Streaming-Plattformen und dem Fernsehvolk. Während erstere den Boom zu nutzen versuchen, um endlich Geld zu verdienen, haben letztere inzwischen auch wieder andere Dinge im Kopf als die siebte Fortsetzung einer Serie anzuschauen, der schon bei Staffel 3 die Ideen ausgegangen sind.

Schon im zweiten Pandemiejahr verlor Netflix Abonnenten, zuletzt wuchs die Zahl zwar wieder, aber nur sehr langsam. Bei Prime, Disney+ und dem Rest der Branche sieht es kaum anders aus. Mit Wachstum allein ist nichts zu verdienen − wie bei Platzhirsch Netflix geht es nun um Kostenoptimierung, höhere Abopreise und Zusatzeinnahmen durch Werbung.

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Streaming: Anbieter legen alte Serien neu auf

Streaming wird selbst für zahlende Abonnenten wie RTL, Sat.1 und ProSieben unerlässlich. Werbespots vor dem und mitten im Film lassen sich stumpf erdulden oder kostenpflichtig abbestellen. Noch sind es nur wenige, und sie sind auch recht kurz. Doch der ungestörte Filmgenuss hat auch inhaltlich an Zugkraft verloren: Statt neuer Serien gibt es zumeist Fortsetzungen bewährter Erfolgsformate.

Bei Amazon heißt der Hit gerade „Mr. & Mrs. Smith“, vor 20 Jahren ein Kinofilm mit Angelina Jolie und Brad Pitt, nun eine Serie mit Maya Erskine und Donald Glover. Disney+ hat „Wunderbare Jahre“ neu aufgelegt, vor 30 Jahren ein 115 Folgen langer Dauerbrenner im jungen Privatfernsehen. Netflix hält etwa mit „Avatar – Der Herr der Elemente“ dagegen, keiner Fortsetzung des erfolgreichsten Kinofilms aller Zeiten, sondern einer Verfilmung einer Zeichentrickserie.

Das Grummeln unter den Nutzern ist unüberhörbar, zumal Amazon die höheren Preise mit einer schlechteren Bildqualität kombiniert und Netflix das Teilen von Konten kostenpflichtig gemacht hat. Doch noch geben die Zahlen den Anbietern recht. Bei Netflix stieg der Gewinn zuletzt auf knapp eine Milliarde Dollar im Quartal. Jeder der 260 Millionen Nutzer weltweit brachte dem Unternehmen etwa vier Dollar ein.