1000. Folge "Tatort" 1000. Folge "Tatort": Das ist der schlimmste Bösewicht der Tatort-Geschichte

Herr Bartholomäi, in der Reihe der inzwischen 1000 „Tatort“-Folgen sind Sie der Mann mit den meisten Täter-Einsätzen. Wie gefällt Ihnen dieses Etikett?
Ich habe es mir jedenfalls nicht angeklebt! Nun ist das Rollenrepertoire in Krimis aber auch nicht so riesig: Man spielt entweder die Leiche oder den Täter. Und da finde ich Letzteres definitiv spannender. Schließlich gibt es für die Leiche per Definition nicht allzu viel Spielraum.
Sehen Sie sich als eine Art Klaus Kinski 2.0 – auf das Böse gebucht?
Nein, dafür spiele ich viel zu gerne Komödien, und ich werde zum Glück häufig auch als „braver Schwiegersohn“ angefragt. Deshalb bin ich eigentlich ganz froh, wenn die Leute sagen, „Hey, du bist ein netter Typ, aber den Fiesling trauen wir dir auch zu.“
Florian Bartholomäi, geb. 1987, begann seine Karriere als Kinderstatist an der Frankfurter Oper. 2005 war sein Filmdebüt. Im selben Jahr war er erstmals im „Tatort“ als Mörder zu sehen. In der Krimireihe ist Bartholomäi der am häufigsten (sechsmal) als Täter besetzte Akteur. Die „Internet Movie Database“ führt ihn laut „Spiegel“ mit fünf weiteren Auftritten, in denen er unter anderem auch (zu Unrecht) Verdächtigte spielt. (jf)
Und es gibt in der Tat eine Faszination für die Rolle des Täters. Ich glaube, das hat mit unserem Bedürfnis zu tun, das unbegreifliche Böse doch irgendwie in den Griff zu bekommen. Wir wollen das unfassbar Schreckliche, was Menschen einander antun, mit einer Person in Verbindung bringen.
Dass das einen Schauspieler besonders fordert, ist klar. Was war auf Ihrer persönlichen Verbrecher-Palette die schwierigste Figur?
Die Rolle des Rainald Klapproth, die ich jetzt im 1000. Tatort spiele, gehört sicher zu den komplexesten. Als ehemaliger Soldat in einem Spezial-Einsatzkommando ist der Mann dafür ausgebildet, in jeder Situation absolut kontrolliert zu reagieren. Aber unter dieser antrainierten Ruhe leidet er so wahnsinnig an Liebeskummer, dass es ihn umbringt – und er andere. Solche Zerrissenheiten sind für einen Schauspieler Futter ohne Ende.
„Ich dachte sofort an Taxi Driver“
Die Folge spielt größtenteils in einem Taxi. Sie als der Täter sitzen am Steuer. Robert de Niro und „Taxi Driver“ lassen grüßen.
Und der Titel des allerersten „Tatorts“ natürlich, „Taxi nach Leipzig“. Aber klar, als ich das Drehbuch in die Hand nahm, dachte ich sofort an »Taxi Driver«. Den Film habe ich als Junge schon gesehen. Die großen Vorbilder gehen einem nie aus dem Kopf.
Und jetzt schließen Sie daran an – ausgerechnet im „Jubiläums-Tatort“…
… Das ist für mich eine große Ehre. Schon über die Einladung zum Casting habe ich mich riesig gefreut, und dass ich die Rolle dann auch noch bekommen habe – das war super. Der „Tatort“ ist ein Stück deutsches Kulturgut, ein konstantes Moment in einer ansonsten sehr schnelllebigen Zeit. Nicht umsonst hat in jüngerer Zeit so ein Hype um die Serie eingesetzt: immer sonntags, immer um 20.15 Uhr, nach 90 Minuten ist die Welt mehr oder weniger in Ordnung, und mit dieser Gewissheit geht es dann in die nächste Woche. Das ist das Versprechen des „Tatort“, und es wird Woche für Woche eingehalten.
Auf die Dauer ist das aber doch auch ermüdend.
Deshalb wünsche ich dem „Tatort“ für die nächsten 1000 Folgen ein Stück Experimentierfreude.
„Das wäre eine „Tatort“-Revolution“
Davon gab es zuletzt das eine oder andere: die Folgen mit Ulrich Tukur. Oder auch das Münsteraner Duo Axel Prahl/Jan Josef Liefers mit ihrem Hang zum Slapstick. Was sagt Ihnen davon am meisten zu?
Ich bin ein großer Fan des Dramas im eigentlichen Sinn des Wortes: Menschen geraten in Situationen, die sie beim besten Willen nicht lösen können; in Konflikte, in denen es kein „richtig oder falsch“ gibt. Mein Traum wäre ein „Tatort“ als Serie, der mit seinen einzelnen Folgen über ein halbes Jahr oder mehr ginge, so dass sich die Rollen entwickeln könnten und auch die Kommissare mit all ihren Facetten dem Zuschauer noch näher kämen. Ermittlung in gedehnter Zeit und großen Bögen – das wäre eine „Tatort“-Revolution, bei der ich gern dabei wäre.
Welcher Ermittler sollte es dann sein, der hinter Ihnen her ist?
Oh, das ist schwierig. Aber ich sage mal: Mit Ulrich Tukurs Felix Morot habe ich es noch nie zu tun bekommen. Und da ich selbst gebürtiger Hesse bin, wäre das für mich doppelt reizvoll.
Sind wir alle nur einen Schritt weit davon entfernt, in einer Extremsituation selbst zum Verbrecher zu werden?
Wenn ich für die Vorbereitung auf eine Rolle Gerichtsprotokolle lese, dann sagen viele Angeklagte, sie hätten nicht gewollt, was sie getan haben. Ich glaube ihnen das. Jeder kann an den Punkt kommen, an dem er sich vergisst. Es wäre spannend, sich diesem Punkt in uns selbst möglichst weit anzunähern – und das auch zuzulassen. Wir sind in unserer Gesellschaft so auf Wohlerzogenheit und politische Korrektheit konditioniert, dass dieses Vulkanhafte, Eruptive in uns verschüttet ist. Aber reden Sie mal mit Polizisten! Die können von den Ausbrüchen erzählen und von dem, was dann passiert. Vielleicht ist es ganz gut, wenn wir im Film ein Stück gegen soziale Reglementierung und Überregulierung anspielen.
Wie meinen Sie das?
Sie haben Klaus Kinski selbst erwähnt. Bei Kinski war das Wahnhafte, das Wahnsinnige Programm. In seinen Wahnsinns-Rollen hat er viel Wahres über den Menschen und die Gesellschaft gesagt. Das finde ich wichtig: Die vermeintlich Verrückten rücken vieles gerade, was nicht am richtigen Platz ist.
Hat Sie die ausgesprochen intensive Beschäftigung mit dem gespielten Verbrechen im Fernsehen gegen das Verbrechen in der Realität immunisiert?
Ich bin jedenfalls aufmerksamer geworden und frage deshalb, wenn ich von bestimmten Verbrechen höre, die ein Mensch begangen hat, nach den Umständen, die dazu geführt haben. Man ist schnell dabei, die Schublade aufzuziehen, auf der „Bestie“, „Arschloch“ oder sonst etwas steht, und dann nichts wie rein mit dem Täter! Aber das ist zu einfach. So kommt man nie an die Dramatik oder die Tragik heran, die den meisten Verbrechen zugrunde liegt. Ich bemühe mich um Verständnis, was keine Entschuldigung oder kein Freispruch ist. Fürs Urteilen bin nicht ich zuständig. Das ist die Sache der Gerichte. So hat jeder seine Rolle. Zum Glück.
Das Gespräch führte Joachim Frank
