TV-Kritik Zorn TV-Kritik Zorn: Unkonventionelle Krimi-Kost aus Halle

Halle (Saale)/MZ - Am Anfang fährt ein langhaariger Mensch, der uns gleich als Hauptkommissar der Kriminalpolizei Halle vorgestellt wird, die Hochstraße an den Franckeschen Stiftungen entlang: auf der linken Fahrbahn und mit 30 km/h. Grund genug für die Polizei, ihn anzuhalten. Claudius Zorn (Mišel Matičević) aber lässt Wachtmeister Kusch (Martin Reik) nach kurzem Disput einfach stehen. Zum Abschied zeigt er dem Uniformierten den Stinkefinger und entschwindet in Halles nächtlichen Dauerregen. Schon nach zwei Filmminuten weiß der Zuschauer: Diesen Ermittler zu mögen, könnte etwas schwer fallen.
Zorn ist eine ganz eigene Marke von Kommissar: Er wohnt in einer halleschen „Platte“, trägt eine betagte Lederjacke und hört Vinyl-Schallplatten. Wenn er seinen Klingelton auf dem Handy geändert haben will, muss er Kollegen Schröder (Axel Ranisch) damit beauftragen. Ansonsten ist Zorn vor allem eins: cool. Vielleicht schon zu gelassen, um wirklich authentisch zu sein. Wenigstens Malina (Katharina Nesytowa), seine Hochhaus-Nachbarin, scheint ihn zu durchschauen: „Kann es sein, dass du gar nicht so cool bist wie du tust?“ Seine Antwort steht noch aus.
Aschenbecher voll, der Blick leer
Am Morgen nach dem nächtlichen Hochstraßen-Intermezzo sieht man diesen Zorn im Büro sitzen: Der Aschenbecher ist voll und der Blick leer - so treffend kann man die Figur in zwei Einstellungen und ganz ohne Worte beschreiben. Das kommt Zorn entgegen: Denn er redet nicht gern. Ganz im Gegensatz zu seinem eifrigen und liebenswerten, weil irgendwie kindlich-naiven Assistenten Schröder. Der spricht Zorn stets mit „du“ und „Chef“ an. Und wenn der grantige Kriminalist wieder mal nuschelt, pflegt Schröder mit der wunderbar altertümlichen Floskel nachzufragen: „Wie belieben?“
So zeigt sich: Zorn und Schröder trennen Welten von Herbert Schmücke (Jaecki Schwarz) und Herbert Schneider (Wolfgang Winkler), die das Erste als Halles „Polizeiruf“-Ermittler 2012 pensionierte. Im direkten Vergleich zu den beiden Herberts wirkt geradezu avantgardistisch, was dieser Halle-Kriminalfilm bietet.
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Zorn auf Verbrecherjagd
Schröder ist es übrigens auch, der die Fäden des Falls, der in „Tod und Regen“ zu lösen ist, in Händen hält. Würde der Dicke ihm nicht den Rücken freihalten, Zorn wäre schon längst gefeuert worden. Damit drohen ihm sowohl Staatsanwalt Sauer (Anian Zollner) als auch dessen Nachfolgerin Frieda Borck (Emily Cox), eine Frau vom Typ beinharte Karrieristin.
Es braucht derlei Drohungen aber gar nicht, denn Zorn fragt sich ohnehin jeden Tag aufs Neue, warum er das tut, was er macht. Bei einem abendlichen Besäufnis mit Henning Mahler (Lucas Gregorowicz) – dessen Tochter von einem Auto angefahren wurde und dessen Frau Suizid beging – sagt Zorn mehr zu sich als zu seinem Gegenüber, dass er angetreten sei, um Verbrecher zu jagen und nicht um Akten zu wälzen.
Es lohnt sich freilich, manchmal genauer in dieselben zu schauen. Aber dafür hat Zorn ja Schröder. In dem Obduktionsbericht der ersten von später zwei ermordeten Frauen fehlt eine Seite. In den Mordfall kommt Bewegung, denn für Zorn und Schröder ist ihr Staatsanwalt der Hauptverdächtige. Dass Sauers Sekretärin Hannah (Katrin Bauerfeind), die mit Zorn ein Techtelmechtel hat, die fehlende Seite aus dem Tresor ihres Chefs beschafft, muss sie mit dem Leben bezahlen.
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Spannend bis zum Schluss
Es spricht für das von Regisseur Mark Schlichter gemeinsam mit dem Roman-Autor Stephan Ludwig verfasste Drehbuch, dass es bis zur endgültigen Auflösung spannend bleibt - weil der Zuschauer nicht vorhersehen kann, dass die Morde an beiden Frauen miteinander in direkter Verbindung stehen.
Staatsanwalt Sauer und Henning Mahler waren Kameraden bei der Bundeswehr. Ferner auch Robert Stapic (Thorsten Merten), der eine Bar am Universitätsring betreibt und der Onkel von Zorns Nachbarin Malina ist. Die drei Ex-Soldaten verbindet ein dunkles Geheimnis...
„Zorn – Tod und Regen“ bietet - neben viel Blut und vielen Toten - so unkonventionelle Krimi-Kost, dass auch Logik-Lücken, die sich im Lauf des Kriminalstücks immer wieder mal auftun, nicht so sehr ins Gewicht fallen.
Erfreulich, dass viel vom Weichbild der Stadt zu sehen ist: Marktkirche und Stadtbad etwa, Alt- und Neustadt sorgen für einen hohen Wiedererkennungswert - mögen die Bilder auch so düster sein wie die Grundstimmung des Films.
Wie am Anfang, so sieht man den Titel-Anti-Helden auch in der letzten Einstellung wieder des Nachts in Bewegung: Jetzt zu Fuß, allein und im Dauerregen. Und natürlich zündet sich der Kettenraucher auch am Ende eine Zigarette an. Wird es die letzte sein, die Zorn in Halle gequalmt hat?
Nicht nur die Hallenser werden sagen: Endlich wieder ein Ermittler-Duo von Format. Das sollte uns noch drei weitere Folgen im TV erhalten bleiben - denn so viel Romane könnten noch umgesetzt werden. Ob es aber eine Fortsetzung geben wird, ist für die ARD nun vor allem von einer Frage abhängig: Was sagt die Einschaltquote?