TV-Kritik Maybrit Illner TV-Kritik Maybrit Illner: Verarmung als Reform?

Frankfurt - Wenigstens redeten sie nicht über den Finger. Das taten danach aber Markus Lanz und seine Gäste ausgiebig. Dabei hätte Jan Böhmermanns genialer Coup mit dem Varou-Fake den Diskurs eigentlich auf die Schwierigkeiten der Medien mit Wahrheit und Täuschung hin verschieben müssen. Aber das ist ja ein sooo komplexes Thema...
Anders ist es bei der griechischen Schuldenkrise. Da ist längst Allgemeingut, dass die von der Troika befohlenen Einschnitte im Sozialbereich viele Menschen dem Elend näher gebracht oder gar ausgeliefert haben. Und Spiegel online veröffentlichte am Donnerstag noch Ergebnisse einer Studie der Hans-Böckler-Stiftung. Danach ist die Kluft zwischen Arm und Reich in Griechenland dramatisch gewachsen, und die Kürzungen seien „weit umfassender ausgefallen, als nötig gewesen wäre, um die internationale Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Wirtschaft zu stärken“.
Dass der Weg der Troika ein Irrweg war, haben wohl die meisten der handelnden Personen begriffen – nur ein paar konservative Betonköpfe vom Schlage Volker Kauders nicht, wie sich bei Maybrit Illner erneut zeigte. „Athen ohne Zukunft – Hilft am Ende nur der Grexit?“ lautete das Thema, und die offensichtlich erkältete Moderatorin hatte ihre liebe Mühe, den Christdemokraten am Dauerreden zu hindern, der immer wieder sagte, was er im Bundestag gesagt habe. Was er in dieser Runde außerdem sagte, erinnerte an Gebetsmühlen und klang nicht eben logisch. Griechenland müsse sich an die getroffenen Abmachungen halten; es gehe um „Verlässlichkeit“.
Aber die Frage muss erlaubt sein: Warum soll die frisch gewählte Regierung dem folgen, was die allgemein als Versagerin anerkannte Vorgängerin verbockt hat? Kauders Kontrahent in der Debatte, Athanasios Marvakis,Sozialwissenschaftler an der Universität Thessaloniki, griff zu einem drastischen Bild für die Folgen der von der Troika diktierten Sparpolitik: „Operation gelungen – Patient tot.“ Er betonte, dass es nicht darum gehe, dass sein Land neues Geld brauche, sondern Zeit, um die Wahlversprechen umzusetzen; die Regierung Tsipras sei gerade zwei Monate im Amt. „Aber die Regierung, die nichts getan hat, die haben Sie unterstützt“ hielt Marvakis dem Mann von der CDU vor.
Wie geht es weiter, mit oder ohne die Griechen in der Euro-Zone, wollte Illner wissen, zumal die Austritts-Varianten („Grexit“, „Graccident“) ja immer offener diskutiert werden. Mit ihnen, darin waren sich letztlich alle einig, auch wenn Frank Lehmann, ehemals Wirtschaftsredakteur des Hessischen Rundfunks, unverblümt sagte, er gebe der Tsipras-Regierung „keine fünf Monate mehr.“
Kerstin Andreae, die stellvertretende Fraktionschefin der Grünen, warnte vor dem politischen Schaden eines Austritts, weil so sichtbar würde, dass die EU nicht mehr zusammenstehe. Christoph Schmidt, Vorsitzender der Wirtschaftsweisen, mahnte, man solle „zur Vernunft zurückkehren“, will heißen, die Griechen sollten sich an die Vereinbarungen halten. Lehmann, praktisch denkend, wies darauf hin, dass eine Rückkehr zur Drachme eine Abwertung um 40 Prozent bedeute und damit für die Hellenen alles noch teurer werde. Für Europa wäre der Abschied Athens „finanziell verkraftbar, politisch aber überhaupt nicht“.
Volker Kauder beschwor gar die „Schicksals- und Wertegemeinschaft“, die zusammenhalten müsse, aber dann kam das obligatorische Aber nach solchen Pathosformeln: Es müsse jeder seinen Beitrag dazu leisten. Und wieder fragte sich der geneigte Zuschauer, warum die Redaktion nicht auch einmal einen konservativen Kopf mit Substanz einladen kann...
Selbstverständlich müssen sich auch die Griechen fragen lassen, warum sie bestimmte Dinge noch nicht angepackt haben. Kauder verlangte immer wieder „Reformen“– ohne zu sagen, dass die nach Auffassung der Geberländer und ihrer Institutionen die soziale Schieflage in Griechenland vermutlich noch verstärken und den Zielen Tsipras’, der Verarmung entgegenzuwirken, widersprechen. Auch wurde die verräterische Metapher von den „Hausaufgaben“ wieder einmal strapaziert, aber Marvakis wies immer wieder auf die kurze Zeit seit der Regierungsübernahme hin und klagte: „Diese Regierung wird erwürgt!“
Dabei wird immer übersehen, dass die Fristen zur Rückzahlung des größten Schuldenteils mehr als 30 Jahre und damit die Zeitspanne einer Generation betragen. Aber EZB und IWF wollen schon dieses Jahr sieben beziehungsweise acht Milliarden. „Bekommen wir deutschen Steuerzahler unser Geld zurück?“ fragte Illner den CDU-Politiker. Doch der mochte sich da lieber nicht festlegen. Aber die Grüne Andreae wies immerhin darauf hin, dass Deutschland von den Krediten profitiere und bislang 320 Millionen Euro eingestrichen habe. Offenbar ein gutes Geschäft...
Sendung: Maybrit Illner, ZDF, Donnerstag, 20. März, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek