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TV-Kritik: Maybrit Illner TV-Kritik: Maybrit Illner: Die Griechenland-Krise kennt nur Verlierer

Von Daland Segler 03.07.2015, 05:19
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach.
Der CDU-Politiker Wolfgang Bosbach. dpa Lizenz

Frankgurt - Am kommenden Sonntag stimmen die Griechen ab – worüber, das wissen vermutlich viele Wähler dort gar nicht so genau. Schon die mit ja oder nein zu beantwortende Frage des Referendums klingt recht kompliziert. Und der Entwurf, über den abgestimmt werden soll, gilt nicht mehr, nachdem die Griechen die am 30. Juni fällige Zahlung an den IWF nicht geleistet haben. Ministerpräsident Alexis Tsipras und jüngst auch sein Finanzminister Gianis Varoufakis haben jedenfalls zu verstehen gegeben, dass sie für ein „Nein“  plädieren – und bei einem anderen Ergebnis nicht an ihren Posten kleben werden. Was der Ausgang für die Griechen und für Europa bedeuten wird, darüber wollte Maybrit Illner mit ihren Gästen reden:  „Sind die Griechen noch zu retten?“ lautete der wieder einmal auf Boulevard getrimmte Titel der Sendung, die dann aber ein anderes Niveau aufwies – wenngleich die Teilnehmer sich lange mit Schuldfragen und -Zuweisungen aufhielten, statt in die Zukunft zu blicken.

Dabei herrscht eigentlich weitgehend Einigkeit darüber, dass  in den vergangenen fünf Jahren vor allem auf Seiten der Geldgeber einige Fehler gemacht wurden, was sich an der Verschlechterung der wirtschaftlichen Lage in Griechenland ablesen lässt: Das so oft zitierte Beispiel: Die Staatsverschuldung ist im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt von rund 120 auf 175 Prozent gestiegen. Der Streit zwischen denen, die in der „Troika“ die Schuldigen dafür sehen, und denen, die Griechenlands Wirtschaftspolitik und die Regierung Tsipras verantwortlich machen wollen, flammte auch hier wieder auf: mit den Kontrahenten Peter Bofinger, als "Wirtschaftsweiser" bekannt, und Hans-Werner Sinn, Präsident des Münchner Ifo-Instituts und Gast in gefühlt jeder zweiten Talkshow zu diesem Thema.

Wolfgang Bosbachs Irrtum

Ihm zur Seite stand Wolfgang Bosbach; auch der eloquente Christdemokrat hat ja die Teilnahme an Rederunden im Fernsehen zu seinem zweiten Beruf gemacht, und so oft und ausdauernd er schon zum Thema Schuldenkrise doziert hat, unterlief ihm doch zu Beginn ein Irrtum: Ein „Nein“ der Griechen käme einem „Misstrauensvotum gegen die Eurozone“ gleich. Doch lehnen die Hellenen  nicht die „Eurozone“ ab, sondern die Forderungen der Gläubiger. Das machte Kaki Bali deutlich, die als „europapolitische Beraterin im griechischen Premierministeramt“ vorgestellt wurde. Denn ihre Landsleute seien nicht gegen Reformen an sich, sondern gegen die falschen Reformen. Und wer, fragte sie, habe denn in den vergangenen fünf Jahren die Aufsicht über das griechische Finanzgebaren gehabt, wenn nicht die Troika? Sven Giegold, im Europaparlament für die Grünen, assistierte: Den Griechen sei ein „Kaputtsparprogramm“ aufgezwungen worden, er wünsche sich, dass das Land Perspektiven bekomme.

Spekuliert Angela Merkel vielleicht auf den Grexit, weil sie die Tsipras-Regierung als Kommunisten betrachte, wollte Illner wissen, doch das tat Bosbach als „groben Unfug“ ab – hätte er das Gegenteil sagen können? Er verwies wieder auf die anderen EU-Staaten wie etwa die Slowakei oder Estland, die für einen derartige Sonderbehandlung Athens kein Verständnis hätten –  das Argument ist eigentlich ein Sprengsatz am europäischen Gedanken, weil es statt auf die Solidarität der Staatengemeinschaft auf den nationalen  Egoismus rekurriert.

Aber das letzte Angebot Merkels sei doch so großzügig gewesen, warum hat Tsipras es nicht angenommen, wollte Illner wissen, die die richtigen Fragen stellte. Kaki Bali ging ins Detail: Die Mehrwertsteuer für Hotels und Gastronomie sollte sofort, also mitten in der Hochsasison, angehoben werden, und die Regelung für das Rentenalter sollte ebenfalls sofort eintreten. 

Wenn Hennen rennen

Peter Bofinger fand für die Situation das Bild des „Chicken Game“: Wer von zwei aufeinander zurasenden Rennwagen zuerst ausweicht, hat verloren. In diesem Fall sei keiner ausgewichen. Er habe in Athen einen Lastenausgleich (wie es ihn in der BRD in der Nachkriegszeit auch gab) vorgeschlagen – vergebens. Die Reichen, zu deren Lasten dieser Ausgleich gegangen wäre, haben aber ihr Geld ins Ausland geschafft, glaubt Sinn, der sich ja für einen „Grexit“ stark macht. Auch deswegen kämen die Griechen selbst dann nicht allein zurecht, wenn ihnen alles erlassen würde. Bofinger hielt dagegen, ein Austritt Griechenlands könnte wegen der dann wohl sehr schwachen Drachme zu einer Hyperinflation führen. Er mahnte: „Wir Deutschen profitieren von der Währungsunion.“ Wenn aber Athen austrete, werde es einen Sprung in der Schüssel geben, „den kriegen wir nicht mehr raus.“

Giegold plädierte noch einmal energisch für eine gemeinsame Wirtschaftspolitik der Europäischen Union und verband das mit einem Appell, nicht mehr Absprachen „in Brüsseler Hinterzimmern“ zu treffen, sondern die Maßnahmen demokratisch abzustimmen und zu legitimieren. Illners Hinweis, dass nun „halbdemokratische Initiativen“ die Dinge entschieden, nahm Hans-Werner Sinn zum Anlass, Kritik an der EZB zu üben, die habe die Hegemonie übernommen – während Bofinger die Bank als „Ausputzer“ lobte. Und so entwickelte sich das Gespräch über Griechenland unversehens zur Debatte über Europa, das eben mit Regeln und Regelverletzungen so seine Probleme habe.  Und wenn Sinn auf die Einhaltung von Recht und Regeln pochte, wies Kaki Bali auf die Unfähigkeit der Europäer hin, sich über die Aufnahme der syrischen Flüchtlinge zu einigen. 

Maybrit Illner startete unterdessen in der dritten Sendung hintereinander erneut einen Versuch, die Schuldenkrise mit dem Schicksal der Bundeskanzlerin zu verknüpfen und fragte, ob die Politik Angela Merkels nun nicht doch gescheitert sei. Das wollte, konnte und durfte Wolfgang Bosbach selbstverständlich nicht bestätigen. Das Lob dafür, dass er mit seiner Skepsis recht behalten habe, nahm er in höflicher Bescheidenheit entgegen und lobte seinerseits Hans-Werner Sinn, der habe immer recht gehabt. Die Politik sollte also  doch stärker auf die Wissenschaft hören. Fragt sich  nur, auf welche Richtung: Sinn oder Bofinger?

Maybrit Illner, ZDF, Donnerstag, 22.15 Uhr. Im Netz: ZDF Mediathek.