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Todestag  Todestag : Vor 20 Jahren starb Kurt Cobain

Von Christian Bos 05.04.2014, 06:41

Was bleibt? Eine Zigarrenkiste, zwei Verbandstücher, eine schwarze, gefütterte Mütze mit Ohrenklappen. Ist das alles? Eine Sonnenbrille, ein oder zwei zerknüllte Dollarscheine, eine Zigarettenschachtel, ausgedrückte Kippen, ein rosa Feuerzeug. Das Portemonnaie ist geöffnet, der laminierte Führerschein halb herausgezogen. Wem gehören diese verlassenen Dinge auf dem staubigen Fliesenboden? Never mind, mach dir nichts draus!

Fast 20 Jahre lang hat dieses Bild in einer von vier 35-Millimeter-Filmrollen in der Asservatenkammer der Polizei von Seattle überwintert. Unentwickelt, ungesehen, negativ. Bis Detective Mike Ciesynski, ein Spezialist für zu den Akten gelegte Fälle, die Berichte und Verwahrstücke in der Sache Kurt Cobain noch einmal prüfte.

Nicht weil neue Zweifel am Suizid des Rockstars aufgekommen wären, allen Verschwörungstheorien zum Trotz, die der Tod einer Ikone, wie sie uns höchstens einmal in einem Jahrzehnt medial heimleuchtet, nun mal mit sich bringt. Nein, vonseiten der Polizei war das schlicht vorausschauende Öffentlichkeitsarbeit.

Der 20. Todestag stand unmittelbar bevor, da wollte man für Presseanfragen gewappnet sein. Sowieso erreichte sie, sagt die Polizei in Seattle, noch jede Woche mindestens eine Aufforderung, die Untersuchungen wieder aufzunehmen: Als könnte man den Stein wieder vom Grab rollen.

Selbstmord im Gewächshaus

Am 5. April 1994, schätzte damals der Gerichtsmediziner, hat Kurt Cobain seinem Leben ein Ende gesetzt. Er wusste, wie vielen Fans seiner Band Nirvana er damit weh täte, ja, dass er eine ganze Generation im Stich ließe. Das war ja Teil des Problems. Er war der Jesus der Slacker und wollte sich am liebsten selbst mit dem Kopf nach unten ans Kreuz nageln.

Es gibt noch mehr solcher stichiger, zerkratzter Bilder von jenem verregneten Freitag am Lake Washington Boulevard in Seattle, als der Elektriker Gary Smith Kurt Cobains schon starren Körper im Gewächshaus über der Garage fand, eine Rückstoßflinte zwischen den Knien geklemmt, den Lauf aufs Kinn gerichtet.

Die Blutlache unterm Kopf war Smith zuerst gar nicht aufgefallen. Er war gekommen, um die Alarmanlage in dem großen Haus zu reparieren. Aber die Gefahr hatte nie von außen gedroht. Der Feind saß im Kopf. „Ich habe es gut, sehr gut sogar, und ich bin dankbar“, hatte Cobain mit roter Tinte in seinem Abschiedsbrief geschrieben, „aber seit meinem siebten Lebensjahr sind mir alle Menschen im Allgemeinen verhasst.“

Die speziellste Verachtung reservierte Cobain für sich selbst. „Ich hasse mich und ich will sterben“ hatte er als Titel für das letzte Nirvana-Album vorgeschlagen. Es hieß stattdessen bekanntlich „In Utero“, nach der lateinischen Phrase, mit der Juristen ungeborene Kinder bezeichnen.

Den Brief – adressiert an „Boddah“, den Fantasiefreund seiner Kindheit – hatte er mit einem roten Stift durchstochen und in ein kleines Beet gesteckt. Auch davon hat die Polizei jetzt ein Foto entwickelt und veröffentlicht, ebenso Detailaufnahmen vom Körper des Toten. Ein Fuß im Converse-Sneaker, an der Sohle eine braune Papierschachtel mit Schrotpatronen. Ein Arm, noch mit dem Plastikband der Entzugsklinik am Handgelenk, aus der er wenige Tage zuvor geflohen war. In Seattle ist man anscheinend nicht zimperlich.

Kein Hilferuf

Ein anderes Bild verrät uns, was die Zigarrenkiste, Marke „Tom Moore“ verbirgt. Ein Löffel, eine Spritze, noch ein Feuerzeug, was man so braucht, wenn man seine brennende Verzweiflung mit Heroin löscht. Bevor er sich erschoss, hatte sich Cobain eine Dosis gespritzt, die ihn auch allein umgebracht hätte. Keine Spur von einem Hilferuf. Er war untröstlich.

„Du beobachtest dich selbst, aber du bist einfach nicht fair“, hatte David Bowie über die Dekaden hinweg diesem „Rock’n’Roll Suicide“ zugerufen. Aber Cobain hörte ihn nicht, nicht seine Frau, noch nicht einmal seine kleine Tochter. Der größte Star seiner Generation, das verführerischste Idol seit Jim Morrison, wollte nichts mehr als sterben. Wie Jim Morrison. Im selben Alter. Nur mit noch weniger Illusionen.

Man ist versucht, die Gegenstände als Allegorien zu deuten. Dann stünde die Sonnenbrille für den Ruhm, beziehungsweise den Schutz vor ihm. Die weißen Verbandstücher wiesen auf Wunden hin, die offene Geldbörse auf eine weggeworfene irdische Existenz. Und des toten Mannes Kiste mit dem Heroinbesteck für sein dreckiges, kleines Geheimnis.

Aber es ist ja keine Kunst. Nur das dokumentarische Foto eines Polizeibeamten, nur die achtlos liegengelassenen Sachen eines jungen Mannes, der wusste, dass er nichts mitnehmen kann. „Sie werden in diesen Bildern nichts Weltbewegendes finden“, kommentierte auch Renee Witt, die Sprecherin des Seattle Police Department, die Bilder.

Doch wenn ein 27-Jähriger so offensichtlich mit dem Leben fertig ist, wenn die Botschaft, die er uns zurücklässt, diejenige ist, dass nichts zu Hoffen bleibt, noch nicht einmal die Aussicht auf einen Sinn, der sich vielleicht erst in der Zukunft einstellen wird – dann sucht man diesen Sinn eben in den letzten, fassbaren Dingen. Und sei es in einem rosa Feuerzeug.