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Tocotronic Tocotronic: «Eure Liebe tötet mich»

19.01.2010, 07:22
Dirk von Lowtzow (l.) und Jan Müller von der Band Tocotronic spielen in Scheessel beim Hurricane-Festival (FOTO: DDP)
Dirk von Lowtzow (l.) und Jan Müller von der Band Tocotronic spielen in Scheessel beim Hurricane-Festival (FOTO: DDP) ddp

Berlin/ddp. - Mit «Schall und Wahn»erscheint am Freitag (22. Januar) das neunte Album der Band. Es istvoller herrlich sympathischem Größenwahn.

«Schall und Wahn» sei der Abschluss ihrer «Berlin-Trilogie» wirbtMusikmajor Universal für das neue Werk. «Ein Witz», sagt Bassist JanMüller, und Sänger und Texter Dirk von Lowtzow erläutert: «Im Scherzhaben wir uns in Beziehung zur Berlin-Trilogie von David Bowiegesetzt.»

Drei Platten hat das Quartett, zum dem auch Schlagzeuger Arne Zankund seit 1994 Keyboarder Rick McPhail gehören, in Berlin aufgenommen:Das erste Album der im Nachhinein nun zur Reihe erklärten Abfolgehieß «Pure Vernunft darf niemals siegen» und erschien 2005 bei derHamburger Indie-Plattenfirma L'age d'Or. Nachdem diese pleitegegangen war, veröffentlichten Tocotronic ihre «Kapitulation», ihrzweites Berliner Album, schon bei der Berliner Firma. Tocotronic, dieMitte der 90er als eine der prominentesten Bands der «HamburgerSchule» entwuchsen und den deutschen Indie-Rock maßgeblich prägten,sind im Spätwerk angekommen.

Schon der Titel zeugt davon: «Schall und Wahn» ist der deutschenÜbersetzung des 1929 erschienen Romans «The Sound and the Fury» desUS-Amerikaners William Faulkner entliehen - als Meilenstein derGattung des «New Modernism» ein literarisch hochbedeutendes Werk. DerBezug darauf sei «eine Geste der Aneignung, die wir gerne pflegen»,sagt Lowtzow. Eine «interessante Sache» sei dies, fügt er hinzu, aberzu bedeuten habe all das: nichts. Man mache Popmusik, die ungefähr soentstehe: «Nach einer Phase des periodischen Nichtstuns gelangt manzu Eingebungen und schreibt Songs.»

Doch «Schall und Wahn» klingt nicht nach einer hingeworfenenSkizze. Manche Songs dauern neun Minuten, die Single «Macht es nichtselbst» ist hingegen sehr eingängig und klingt ein bisschen nach derMelodie von «When the Saints go marchin' in». Die Produktion,vorgenommen von Moses Schneider (Beatsteaks, Kreator), war aufwendig:«Wir haben live aufgenommen, in einem sehr kleinen Raum. Auch imhinterletzten Winkel befanden sich noch Mikrofone - spezielleMikrofone wie ein Kunstkopfnachbau und ein 'Smokehead'», sagtLowtzow. Bei letztem handelt es sich um einen Eigenbau desProduzenten - nach dessen Auskunft «das größte Stereomikrofon derWelt».

Ein fetter Rocksound jedoch klingt anders. Der Sound vonTocotronic ist dicht, verwoben und grazil. «Wir wollten eine gewisseForm von Opulenz schaffen, keine, die aufgepumpt daherkommt. Es gibtähnliche Sound-Beispiele in der klassischen Musik. DieArbeitstechniken stammen aus der Tonaufnahmetechnik beim Film»,erläutert Sänger Dirk von Lowtzow. Mag die «Hamburger Schule» auchbisweilen verkopft gewesen sein, heute ist sie durchdacht - einVerdacht, dem Tocotronic natürlich vehement entgegentreten: «Was beimSchreiben darüber gedacht wurde, ist vollkommen irrelevant. DieSchönheit entsteht beim Hören.»