Tocotronic beenden Berlin-Trilogie
Hamburg/dpa. - Für einen Platz auf der Couch von «Wetten, dass..?» wird es auch diesmal nicht reichen. Dafür sind ihnen Lobeshymnen in Feuilletons wieder sicher: Tocotronic haben ihre neue Platte «Schall und Wahn» veröffentlicht.
«Das Album hat eine sehr flirrende Atmosphäre», sagt Sänger Dirk von Lowtzow. «Der Titel beschreibt sehr schön die beiden Ebenen, denen wir uns seit jeher verpflichtet fühlen, nämlich der Musik und einen gewissen Anspruch an Texten», ergänzt Bassist Jan Müller.
«Schall und Wahn», das mittlerweile neunte Studioalbum des Hamburger Quartetts, bildet zugleich den Abschluss ihrer sogenannten Berlin-Trilogie. Wie die beiden hochgelobten Vorgänger «Pure Vernunft darf niemals siegen» und «Kapitulation» wurde auch das jüngste Werk mit Unterstützung von Produzent Moses Schneider in der Hauptstadt aufgenommen.
Die Reihenfolge der zwölf Songs ist von einer konzeptuellen Rahmung geprägt. So gibt es eine Klammer zwischen dem Auftakt-Song «Eure Liebe tötet mich» und dem finalen Lied «Gift», das ebenfalls die gefährliche Liebe symbolisiert. An zentraler Stelle stehen Songs wie «Im Zweifel für den Zweifel» oder das Titellied «Schall und Wahn», mit denen Tocotronic einem «Fiebertraum» musikalisch Ausdruck verleihen. Die aktuelle Single «Macht es nicht selbst» feierte bereits im Dezember Videopremiere.
Musikalisch hat sich die Band weiterentwickelt, ist dichter zusammengewachsen. Streicher und minutenlange Intros verleihen eine bislang kaum gekannte Opulenz. «Wir haben versucht, den Fokus mehr auf die Musik zu richten, auch wenn die Texte nach wie vor ihre Wichtigkeit haben», erklärt von Lowtzow, der seine oft rätselhaften Texte als «spleenig» und «exzentrisch» charakterisiert. Mit der Erweiterung um Gitarrist Rick McPhail im Jahr 2003 habe sich Tocotronic deutlich verändert. «Es macht einen großen Unterschied, ob man zu dritt oder zu viert spielt. Ein Viereck hat viel mehr Achsen, Linien und Querverbindungen», sagt Bassist Müller.
Die Hamburger Musiker können auf ein stolzes Oeuvre zurückblicken. Waren sie zu Karrierebeginn Mitte der 90er Jahre noch mit dem Sammel-Etikett «Hamburger Schule» versehen - der Begriff umfasste auch Bands wie Die Sterne und Blumfeld - und galten mit ihren slogan-artigen Songs als Sprachrohr der jungen Generation, so entwickelten sie in den Folgejahren ihren eigenen, unverkennbaren Stil. Auch die Tocotronic-typischen Trainingsjacken der Anfangszeit wurden längst eingemottet. «Deutschlands beste Band wird volljährig», kommentiert die deutsche Januar-Ausgabe des Musikmagazins «Rolling Stone» das jüngste Werk.
Die Stimmung in der Band sei auch im 18. Jahr gut, sagt Müller. Dabei sei es nicht immer leicht, die persönlich-freundschaftliche mit der künstlerisch-beruflichen Ebene in Einklang zu bringen. Andererseits befruchte so eine intensive und lange Beziehung ungemein. «Man ist sich gegenseitig auch Ratgeber und Psychoanalytiker. Wir haben uns schon in den unterschiedlichsten Zuständen gesehen und eine geringe Hemmschwelle voreinander.»
Dafür haben die Vier bis heute eine gewisse Hemmschwelle vor dem Mainstream bewahrt. Auch wenn McPhail scherzt, dass sie davon träumen, einmal von Thomas Gottschalk auf das «Wetten, dass..?»-Sofa eingeladen zu werden, glaubt von Lowtzow nicht an einen Mega-Hit: «Wenn so etwas passieren würde, wäre das natürlich toll. Aber man muss kein Hellseher sein, dass wir in unserer Art Lieder zu schreiben, zu wenig konsensfähig sind.»