Tilman Jens schreibt über Vater-Sohn-Verhältnis
Berlin/dpa. - Tilman Jens hat ein ebenso vertracktes wie aufschlussreiches Buch über die Beziehung zu seinem seit Jahren an Demenz erkrankten berühmten Vater Walter Jens geschrieben - das zweite innerhalb eines Jahres.
Nach «Demenz - Abschied von meinem Vater» Anfang vergangenen Jahres legt der Journalist vom Jahrgang 1954 jetzt die Dokumentations- und Verteidigungsschrift «Vatermord - Wider einen Generalverdacht» vor. Laut Verlagsankündigung ist es auch ein historischer Streifzug «durch die reichen Gefilde gescheiterter Vater-Beziehungen», von der Bibel über Thomas und Klaus Mann bis heute.
Diesem «kleinen Ausflug auf den verminten Gipfel der Familiendesaster» auf über 170 Seiten - laut Karl Kraus hat ja das Wort Familienbande «einen Beigeschmack von Wahrheit» - steht nur ein kleines Schlusskapitel über das konkrete persönliche Vater-Sohn-Verhältnis im Hause Jens gegenüber - ein «weitgehend kollisionsfreies Leben, andere hatten es schwerer». Weshalb dann, so fragt sich der Leser schließlich doch, dieser publizistische Aufwand mit zahlreichen Beispielen oft katastrophaler Schicksale von Kindern prominenter Väter?
Es war die Wucht der Kritik, die über den Odenwald-Schüler Tilman Jens hereinbrach, als er über die Demenz-Erkrankung seines heute 87-jährigen berühmten Vaters, des einst wortmächtigen «Redners der Republik» aus Tübingen und Berliner Akademiepräsidenten, detailliert berichtete, wie es im übrigen die Ehefrau Inge Jens in ihren Memoiren («Unvollständige Erinnerungen») auch getan hat.
Der Sohn schildert jetzt eine anrührende Szene am gemeinsamen Esstisch im Herbst 2009. Sein Vater ist den Tränen nahe und klagt. Jens erinnert sich: «Er will sterben, sagt er. Er sagt es immer wieder.» Der Sohn nimmt die Hand seines Vaters und meint: «Aber wir können Dich doch jetzt nicht einfach töten.» Der Vater blinzelt und sagt nur «Schade» und lacht dabei - «und schiebt sich vergnügt ein frisch gebackenes Stück Butterkuchen in den Mund. Mir läuft es kalt über den Rücken. Dann lache ich mit.»
«Nein, ich habe meinen Vater nicht auf dem Gewissen», verteidigt sich der Sohn jetzt gegen die Flut von wütenden Attacken und Verrissen seines Demenz-Buches, das andere aber auch als ein bewegendes, wenn auch verstörendes Zeugnis gewürdigt haben. Die Liste auch prominenter «Ankläger» reicht von Friedrich Schorlemmer bis Margarete Mitscherlich. Jens zitiert seitenlang die Beschuldigungen bis hin zum Vorwurf des «biblischen und frevelhaften» Verbrechens des «Vatermords» - «Tilman Jens begräbt den lebendigen Vater», hieß es. «Mein Vater als der alte Moor, ich als die Kanaille Franz, die Missgeburt, der Sohn ohne Charakter», sieht sich Jens, an Schillers «Räuber» erinnernd, an den Pranger gestellt.
Er sei «von weiten Kreisen des deutschen Feuilletons zur Fahndung ausgeschrieben» und als «geltungssüchtiger Judassohn» diffamiert worden, dem «Blut an den Händen» klebe. Die öffentlichen Attacken hinterlassen Spuren, «es lebt sich nicht gut mit dem Kainsmal, seinen wehrlosen Nächsten entehrt, entwürdigt» zu haben, wie ihm seine Kritiker unterstellen. Daher nun die ebenfalls öffentliche Verteidigung anstelle von Unterlassungserklärungen, wie er betont. Die Verteidigungsschrift besteht nun aber überwiegend aus Beispielen von desaströsen Vater-Sohn-Beziehungen aus der Geschichte und vor allem der Literatur - eine seltsam anmutende Form der Verteidigung.
Denn bei genauerer Betrachtung all der vertrackten Ödipus-Dramen im Leben wie auf der Bühne, falle auf, notiert Jens, «dass die Sprösslinge meist guten Grund zum Hass auf ihre Alten hatten» - von Klaus Mann und Thomas Mann bis zu Florian Havemann und Robert Havemann. Aber bei ihm sei es doch ganz anders, betont Jens. «Aller Lehrbuch-Weisheit zum Trotz: Es war nicht schwer, diesen Vater zu haben, der groß war - und der mich nie erdrückte...Wieso also sollte ich, wie unterstellt, an diesem Mann Rache nehmen? Er hat Stärken, an die ich nie heranreichen werde. Und das beschwert mich nicht im Geringsten. Ich bin nicht Rhetor, nicht Gelehrter, ich bin Journalist, und das bin ich gern.»
Dass er als Journalist auch einmal schwer versagt hat, räumt Jens in diesem Buch erfrischend offen ein. Als der Schriftsteller Uwe Johnson Anfang 1984 einsam starb, drang Jens als Reporter einer Illustrierten in die leerstehende Wohnung im englischen Sheerness ein, um an Briefe und Tagebücher des berühmten Autors («Jahrestage», «Mutmaßungen über Jakob») heranzukommen. «Das war Einbruch. Das war Diebstahl. Das war kriminell...Ich wurde gefeuert, zu Recht...Ich habe einen kapitalen Fehler gemacht...den größten, vielfach bereuten, doch unzweifelhaft begangenen Fehler meines Lebens.»