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Till Lindemann und sein Projekt Lindemann Till Lindemann und sein Projekt Lindemann: Rammstein-Sänger als Finsterling auf Freiersfüßen

Von Steffen Könau 19.06.2015, 06:35
Till Lindemann (links) und Peter Tägtgren sind die Band Lindemann - ihr Debütalbum erscheint am 19. Juni.
Till Lindemann (links) und Peter Tägtgren sind die Band Lindemann - ihr Debütalbum erscheint am 19. Juni. Lindemann Lizenz

Halle (Saale) - Die Braut trägt eine Schweinemaske, der riesenhafte Bräutigam weißen Anzug und weißen Zylinder. Ungelenk tänzelt er durch den Saal und schwingt seinen weißen Umhang. Kein Wässerchen würde Till Lindemann trüben, wäre da nicht diese apokalyptische Marschgitarre im Hintergrund des Videos. Und der provokante Text dieses neuen Liedes namens „Praise Abort“ - auf deutsch so viel wie „Rühme den Abbruch“. Indizien, die verraten: Der inzwischen 52-jährige Frontmann der erfolgreichsten deutschen Rockband Rammstein knackt noch immer am liebsten die härtesten Nüsse.

Diesmal tut Lindemann, in Leipzig geboren und als Sohn des Kinderbuchautors Werner Lindemann in Mecklenburg aufgewachsen, das nicht als Sänger seiner Stammkapelle, sondern als eine Hälfte des Zwei-Mann-Projektes Lindemann, das er mit dem schwedischen Heavy-Metal-Musiker und Produzenten Peter Tägtgren gegründet hat. Die Kombination aus deutschem Pop-Poeten und schwedischem Multiinstrumentalisten ist kein Produkt der Langeweile nach sechs Jahren Funkstille bei Rammstein.

Die Idee dazu kam auch nicht von einer Plattenfirma, die den deutschen Heavy-Herkules mit Hilfe des Chefs von Metal-Legenden wie Pain international noch besser platzieren will. Vielmehr handelt es sich um eine Zusammenkunft alter Freunde: Mitte der 90er lernten Lindemann und Tägtgren sich in einer schwedischen Kleinstadtkneipe kennen. Damals waren ein paar Schweden-Biker gerade drauf und dran, die körperliche Auseinandersetzung mit dem früheren DDR-Nationalmannschaftsschwimmer und seinem Bandkollegen Flake Lorenz zu suchen. Tägtgren schritt ein. „Das sind die Jungs von Rammstein, die sind in Ordnung“, sagte er. Der Abend endete dann in seinem Haus, wo man gemeinsam selbstgebrannten Schnaps trank.

Ein Gebräu, das auch bei den Songs von „Skills in Pills“ Pate gestanden haben muss. Schon das Titelstück steigert sich vom Flüstern in ein Crescendo aus Schlagwerk, Synthesizern und Hintergrundchören wie von gregorianischen Mönchen. Die folgenden zehn Lieder variieren das, stets angefüllt mit finster-romantischen Texten, wie sie so nur Till Lindemann schreiben und vortragen kann.

Feingeist mit pathetischem Tenor

Mehr noch als bei Rammstein ist der Feingeist mit dem pathetischen Tenor Dreh- und Angelpunkt des von Regisseur Zoran Bihac in Szene gesetzten Gesamtkunstwerkes. Der Vater zweiter Töchter, zuletzt Autor eines zarten Gedichtbandes, singt zum ersten Mal durchgängig englisch - abgesehen vom Wort „wunderbar“ im Stück „Fat“. Und im Schutz der neuen Sprache geht er noch einen Schritt weiter in der frappierenden Radikalität seiner Texte.

„Skills in Pills“, frei übersetzt etwa „Talent im Drogennehmen“, treibt die absurde Ironie von vieldiskutierten Rammstein-Hits wie „Pussy“ oder „Mein Teil“ auf die Spitze. Todessehnsucht und Augenzwinkern, Tabuverletzungen und der politisch wie moralisch stets inkorrekte Blickwinkel auf Themen wie Körpergewicht, Abtreibung und Sex ergeben ein Album, das in seiner Konsequenz kein Klischee auslässt, aber auch sich selbst nicht verschont.

Die musikalische Muskelmasse, all das Orchesterdröhnen und die finsteren Botschaften aus Lindemanns Feder wegzuschleppen, hat das deutsch-schwedische Duo sowieso. Als hätten Unheilig, Metallica und Depeche Mode den heiligen Eid der Ehe gesprochen, graben sich die beiden Protagonisten in die Abgründe der Liebe, in Schluchten des Hasses und die Keller der Isolation. Im Gegensatz zu seinem Rammstein-Kollegen Richard Z. Kruspe, der sein Solo-Projekt Emigrate international ausgerichtet hat, stellt Lindemann dabei offensiv seinen deutschen Akzent aus. Mal brummt er dunkel, mal klingt er wie ein deutscher Johnny Cash („Cowboy“), mal wie Tom Waits („Yukon“). „Skills in Pills“, das Album für zwischendurch, ist so am Ende mehr als eine Fingerübung, die für das Rammstein-Comeback Maßstäbe setzt. Die Arbeit daran soll im Herbst beginnen. (mz)

Direkt zur Webseite: www.skillsinpills.com