Thüringen Thüringen: DDR-Museum zieht in Kirchgebäude ein
Gelenau/ddp. - Auf der Tafel an der Bushaltestelle von Gelenauim Landkreis Annaberg steht noch: evangelisch-methodistischerGottesdienst sonntags 9.45 Uhr. Doch die Kirchenmitglieder aus demOrt wissen schon lange, dass ihre einstige Kapelle dafür nicht mehrzur Verfügung steht. In dem schlichten grauen Gebäude ist im Januarein privates DDR-Museum eröffnet worden.
Ist die Umnutzung der Räume Provokation, Ignoranz oder Dummheit?«Nichts von alledem», versichert Museumsgründerin Andrea Müller. Ihrgehe es ausschließlich um den Alltag in der DDR, wie sie undMillionen andere ihn erlebt hätten. Politik solle draußen bleiben,nicht nur wegen des ehemaligen Kirchengebäudes. Im Übrigen habe siedie Kapelle samt Pfarrhaus ordentlich mit Kaufvertrag erworben.Alles, was auf die frühere Bestimmung hingedeutet habe, sei vorherentfernt worden.
Bürgermeister Reinhard Penzis (CDU) hat Andrea Müller nicht zurEröffnung gratuliert. Gegen eine rein private Initiative sei nichtseinzuwenden, aber der Ort des Museums sei für viele Gelenauer nichtnachvollziehbar. «Es ist ein unglückliches Zusammentreffen vonIdeologie und Nostalgie», meint Penzis. Er habe die Schließung derKapelle nach 100 Jahren bedauert, sie sei ein Stück Glaubenskultur indem Erzgebirgsdorf gewesen.
Sicherlich habe die Schlagzeile in der örtlichen Presse «Honeckerzieht in Kirche ein» einige Menschen verschreckt, räumt der inZwickau ansässige Superintendent Wolfgang Ruhnow ein. Aber für dieevangelisch-methodistische Kirche sei der Verkauf des Gebäudes einewirtschaftliche Frage gewesen. «Die Gemeinde ist aus verschiedenenGründen kleiner geworden und unsere Kraft zum Erhalt der Immobiliereichte nicht aus. Unsere Mitglieder können weiter die Gottesdienstein den Nachbarorten besuchen», sagt Ruhnow.
In der Tat hängt das Bild des DDR-Staatschefs an der Wand.Schließlich hing es in jeder Schule und in jedem Versammlungsraum,erinnert sich Müller, die zur Wende 20 Jahre alt war. Im Gedächtnissind ihr hauptsächlich Schönes und Gutes geblieben. «Wir habenWestpakete bekommen, sind mit 'Jugendtourist' gereist und kriegtenalle eine Lehrstelle», sagt die gebürtige Mecklenburgerin, die ineiner erzgebirgischen Spinnerei gelernt hat. Die Väter seien beimBasteln von Spielsachen und die Mütter beim Nähen von Puppenkleidungkreativ gewesen, Schrankwände und Anbauküchen hätten mehrere Umzügeüberstanden und statt Fernsehen und Computer habe es noch Spiele imFreien gegeben.
In Kojen zu den Themen Wohnen, Arbeiten, Spielen, Schule undEinkaufen finden sich Dinge, die nach 18 Jahren Konsumgesellschaftfast aus dem Gedächtnis entschwunden sind, wie die oft schon in derKaufhalle zerplatzten Milchtüten. Die eher bescheidene Beschriftungweist auch auf die Mangelwirtschaft hin - dass man auf ein Auto langewarten musste und ein Urlaubsplatz im Gewerkschaftsheim einGlücksfall war. Von Besuchern mit dem Satz «Genauso war`s!» quittiertwird die Schnapsflasche, die hinter einer halb geöffnetenBüroschranktür zu sehen ist.
Rund 20 000 Stücke hat Andrea Müller zusammengetragen, meist aufFlohmärkten, per Anzeige oder übers Internet. Seltenheitswertbesitzen nach ihrer Meinung unter anderem eine viereckigeSpeiseölflasche aus gelbem Kunststoff oder Original-Gewürztütchen. ImWesentlichen sei jetzt Schluss mit dem Sammeln, der Oberboden derKapelle und das Wohnhaus stünden auch schon voll. So schlägt die39-jährige auch den «Berliner Roller» eines Besuchers aus Leipzigaus. So etwas passe besser in eine Spezialsammlung, aber«Putzi»-Zahncreme oder die alte Hülle einer «Schlager-Süßtafel» wäreihr noch recht.
In den vergangenen Jahren wurden Teile der Sammlung schon aufSchloss Augustusburg, in Glauchau oder Dresden gezeigt. DieReaktionen sind sehr unterschiedlich. «Der meistgesagte Satz lautet:'Das haben wir auch zu Hause'. Aber ein Westdeutscher hat auch malüber den Müll geschimpft, den ich ausstellen würde», berichtetMüller. "Es hat eben keinen Sinn, Leuten die Dinge zu präsentieren,die sie nicht kannten», glaubt sie. Enttäuscht gewesen sei sie auchvon der DDR-Ausstellung an der Spreebrücke in Berlin, wo kaputtesGeschirr in Vitrinen stand - die habe eben ein Wessi gemacht.