Thomas Natschinski Thomas Natschinski: Vater des Ostrocks bläst wieder die Mundharmonika

Halle (Saale) - Animalisch heult sie los, die Mundharmonika, breit geblasen und mit Nebenluft, wie es sein muss. Thomas Natschinski versteht sein Fach und er liebt den Blues schon immer, sagt er. „Ich habe die Bluesharp deswegen immer gern gespielt - nur für meine Interpreten war das nicht immer eine Option“. Auf seinem eigenen neuen Album, das der 66-jährige Herbergsvater des Ostrock beziehungsreich „501“ genannt hat, ist umso mehr Platz für den Blues: Begleitet von Uwe Hassbecker und Jäcki Reznicek von Silly, Anett Kölpin (Ex-Datzu) und Heinz-Jürgen „Gotte“ Gottschalk wird der Nachfolger der 2007er CD „Weit, weit und wild“ streckenweise zu einem Fest für Fans der zwölf Takte.
Wie die Beatles sein
Eric Clapton, von dem Natschinski sagt, er sei sein „größter Verehrer“, schwingt da ebenso mit wie das liedhafte Erbe des DDR-Rock, an dessen Wiege der gebürtige Sachse mitbaute. Vor einem halben Jahrhundert infizierte sich Natschinski, Sohn des Eisler-Schülers Gerd Natschinski, unrettbar mit dem Beatles-Virus. „Es gab kein Halten mehr, das hat mich fasziniert“, erinnert er sich heute. Beim Deutschlandtreffen in Berlin sieht er dann auch noch eine tschechische Band, die echte Beatmusik live spielt. „Das war’s!“, erzählt Thomas Natschinski, „das wollten wir auch - wie die Beatles sein und unsere Songs selber komponieren und texten.“
Sie war Moderatorin bei DT 64, er einer der ersten Stars des Jugendsenders. Jetzt gehen Christine Dähn und Thomas Natschinski zusammen auf Lese- und Konzertreise: Unter dem Titel „Die Mokka-Milch-Eisbar lebt!“ spielt Natschinski Stücke aus seinem halben Jahrhundert Rockkarriere von Team4 über Brot&Salz bis hin zu Karat und neue Songs von seiner soeben erschienenen CD „501“. Christine Dähn, die die Biografie von Natschinski, aber auch die von Ute Freudenberg und die Bandbiografie von Karat geschrieben hat, liest dazu „Stories aus den wilden Jahren“, wie es Thomas Natschinski nennt.
So richtig passt das nicht zum ernsthaften Kompositionshandwerk, das der Vater betreibt, der mit dem Musical „Mein Freund Bunbury“ gerade einen Hit gelandet hat. Aber Team4, wie Thomas Natschinski seine Band nennt, klingt in den Ohren der jungen Generation viel besser. Der Beat ist echt, die Gitarren flirren wie bei den Byrds, die vielbesungene „road“ der Amerikaner wird zur „Straße“ und „Die Straße“ wird zum ersten Hit des Studenten an der Musik-Hochschule in Berlin.
Warum die Band in den Augen des SED-Zentralkomitee sehr verdächtig war und warum die Band Auslöser für die Umbenennung eines Cafés war, lesen Sie auf Seite 2.
Im SED-Zentralkomitee aber wird aus der Unterstützung für die neue Jugendkultur eine heftige Angst vor deren Nebenwirkungen. Beatfans sind plötzlich „Rowdys“, Konzerte sind „Gammlertreffen“, auf denen der Klassenfeind mobil macht. Der Name „Team4“ ist den Funktionären nun äußerst verdächtig. „Wir durften gerade unsere erste Platte aufnehmen und man sagte uns, das wäre vorbei und unsere Spielerlaubnis futsch, wenn der Name bleibt.“ Thomas Natschinski ist seine Musik allemal wichtiger. Team4 heißt nun Thomas-Natschinski-Gruppe.
Der Rest ist Legende. Zusammen mit Vater Gerd schreibt Thomas Natschinski die Musik zum Defa-Kultfilm „Heißer Sommer“. Und mit der „Mokka-Milch-Eisbar“ gelingt ihm dann der erste Superhit: „In der Mokka-Milch-Eis-Bar hab’ ich sie geseh’n, in der Mokka-Milch-Eis-Bar, da ist es gescheh’n“, dudelt es einen ganzen Sommer lang aus allen Radios der DDR.
Dabei heißt die Bar, die ein Treffpunkt der Berliner Jugend ist, eigentlich „Eis-Milch-Mokka-Bar“, wie Natschinski erzählt. „Das sang sich aber so sperrig, also haben wir es geändert.“ Nachdem der Song ein Hit wird, reagiert die als behäbig bekannte DDR-Handelsorganisation prompt: „Die haben die Leuchtreklame so umgedreht, dass die Reihenfolge stimmte.“
Bis heute mehr als 500 Songs
Für Thomas Natschinski führte der Weg dennoch in eine andere Richtung. „Ich habe ja Komposition studiert - und Mitte der 70er hatte ich das Gefühl, dass es nicht nur Rockmusik sein kein.“ Der Sachse beginnt, Filmmusiken und Songs für andere zu schreiben, mehr als 500 Songs bis heute, darunter Hits wie „Berührung“ für Gaby Rückert oder „Clown sein“ für Jürgen Walter, den Harald Juhnke später neu interpretiert. Zudem steht er als Bandleader bei Vroni Fischer und als Keyboarder mit Karat auf der Bühne, er schreibt Programme für den Berliner Friedrichstadtpalast und folgt dabei strikt seiner Überzeugung, dass eine Trennung zwischen ernster und Unterhaltungsmusik falsch ist. „Es gibt nur gute und schlechte Musik.“
Natschinski, mit einem halben Jahrhundert Pop-Erfahrung länger dabei als die Puhdys oder Karat, will diese gute Musik machen, in den letzten Jahren auch wieder selbst. „Es zieht es mich wieder auf die Bühne und ich habe auch das Selbstbewusstsein für meine eigene Stimme gefunden“, sagt er. Das Dutzend Stücke auf „501“ zeugt davon. Mal hört sich das ein bisschen wie Udo Lindenberg an, mal schimmert der Clapton durch wie in „Der Klaus“, mal der klassische Komponist wie bei „Die Stille kam“ und mal der Jürgen-Walter-Vorlagengeber wie in „Lena“. Immer aber ist Thomas Natschinski ganz er selbst, ganz bei sich - ein Klassiker im klassischen Blues-Blau der 501. (mz)
CD-Shop und Lese-Termine: www.thomas-natschinski.de
