Theater Theater: Leben und Sterben der Erna Dorn
Halle/MZ. - Über drei Jahre hatte Erich Loest versucht, sein zeitgeschichtliches Theaterstück "Die Prahlerin" auf einer halleschen Bühne zu platzieren. Ein Spiel um die als hallesche Rädelsführerin des Aufstandes vom 17. Juni 1953 verurteilte Kleinkriminelle Erna Dorn. Das neue theater unter Peter Sodann war in dieser Sache notorisch schwerhörig, vielleicht aus Kalkül. Schließlich ging das vergangenheitspolitisch brisante Stück Ende 2005 erstmals im Leipziger Schauspielhaus als szenische Lesung über die Bühne.
Dass der Aufstand vom 17. Juni 1953 vor allem in den mitteldeutschen Industriestädten - und nicht etwa in Ostberlin - zu folgenschweren Aktionen führte, hat sich inzwischen auch dortselbst herumgesprochen. Daran haben nicht nur die Arbeiten von Historikern wie Andre Gursky, Gunter Holzweißig und Hans-Peter Löhne ihren Anteil, sondern eben auch das Engagement von Autoren wie Erich Loest, 80, der mit "Sommergewitter" den ersten historisch gültigen Roman über den Aufstand vorgelegt hat.
Das Stück "Die Prahlerin" ist ein Nebenwerk des Romans von 2005; so ist auch dort die Figur des Stasi-Bezirks-Chefs Bruno Pfefferkorn zu finden. Loest entwirft in seinem Spiel, wie es hätte gewesen sein können: Er zeigt, wie sich die 1911 in Ostpreußen geborene Frau, die 1949 in Halle wegen eines "Wirtschaftsvergehens" in Haft geriet, im Gefängnis buchstäblich um Kopf und Kragen redete. Wie diese seelisch und sozial haltlose Person, die routiniert und stets aus Eigennutz ihre Identitäten wechselte, im Aufmerksamkeits-Wettbewerb der Häftlinge mit einer Biografie als KZ-Aufseherin prahlte, die bis heute nirgendwo nachweisbar ist.
Es gibt keine Akten über den Fall Dorn, nicht einmal der Name des Staatsanwaltes oder Richters ist überliefert. Aus gutem Grund: In der DDR wurde die Frau, die am 17. Juni mit den Häftlingen des Untersuchungsgefängnisses in der halleschen Kleinen Steinstraße befreit worden war, zur "SS-Kommandeuse" umgewidmet - ein Begriff, den es im NS-System nicht gab.
Fortan galt sie als Zeugin für die SED-Lesart des Tages als "faschistischer Putsch". Rudolf Herrnstadt, Chefredakteur des "Neuen Deutschland", brachte das Wort von der "SS-Bestie" in Umlauf; Stephan Hermlin lieferte mit "Die Kommandeuse" die Novelle zur Propaganda-Tat. Im Rückblick ist die 1953 hingerichtete Erna Dorn mehr Opfer als Täterin des 17. Juni gewesen, das Opfer eines Justiz-Mordes auf jeden Fall. Volker Dirkes inszeniert das Loest-Stück in Halle; am Mittwoch ist Premiere.