The Rolling Stones in Leipzig The Rolling Stones in Leipzig: Priester Jagger läuft Marathon
Leipzig/MZ. - Das Konzert ist vorbei, die Reise geht weiter. Morgen nach Hamburg. Und immer so fort. Vor langer Zeit, in den sechziger Jahren, als Blues und Pop noch nicht selbstverständlich zusammen gingen, hat ein Titel von Muddy Waters der Band mit dem längsten Atem in der Rockgeschichte den Namen gegeben: "The Rolling Stones". Am Freitagabend, als die buchstäblichen Urgesteine auf der Leipziger Festwiese spielten, haben sie sich mit "Mannish Boy" bei dem großen alten Mann des Blues bedankt. Denn Adel verpflichtet.
Wer ganz oben auf den Podesten der Musik-Hierarchie steht, muss seine Fans bei Laune halten. Und sich selber auch. Die Stones bespielen etwa alle vier Jahren den gesamten Globus. Dem Bassisten Bill Wyman wurde das irgendwann zu viel. Er stieg vor ein paar Jahren aus. Seitdem sind sie nur noch zu viert. Undenkbar, dass Jagger &Co. einen festen Stellvertreter für ihn einstellen. Der letzte Zugang war vor 28Jahren der Gitarrist und Saufkumpan Ron Wood. Und der ist immer noch der "Neue".
Ähnlich sind die Verhältnisse auch beim Repertoire der Stones. Während der Hochzeit ihres Schaffens war Ulbricht hierzulande noch Staatsoberhaupt. Neue Lieder und Alben kommen und gehen - beim Konzert werden fast ausschließlich, und zurecht, die alten Kamellen heraus geholt. "Gimme Shelter", "Brown Sugar" - 65000 Kehlen grölen mehr oder weniger korrekt die im Gedächtnis fest verankerten Refrains mit. Dabei traut sich keine andere Band für so viele Leute so schlampig zu spielen.
Jeder Titel ufert aus zu einer zehnminütigen Jam-Session. Saxofon-solo hier, Saitenzieherei auf der Gitarre da. Dies ist trotz alledem natürlich genau so geplant und gehört zum Trance-ähnlichen Zustand, in den die Zuschauer von der Stones-Prozession versetzt werden. Denn obwohl Mick Jagger von "Sympathie For The Devil" singt, wird er wie ein Heiliger angebetet. Dort, wo er auf die Rampen links und rechts von der Bühne rennt, gehen die Hände gen Himmel. Und er ist sich seiner Position durchaus bewusst.
So wie er, von der Seite betrachtet, im wehenden Mantel über den Steg über das Publikums-Meer läuft, so muss Jesus über das Wasser gelaufen sein. Der Gegensatz zu Keith Richards, dem Kumpel nebenan, ist groß. Jagger grüßt anonym mit "es ist toll wieder in Leipzig zu sein". Bei Richards fühlt sich jeder persönlich angesprochen, wenn er verbindlich "es ist schön, euch wieder zu sehen" ins Mikrofon haucht.
"The Glitter Twins" war das frühere Pseudonym der beiden. Gar so viel glitzert an den musikalischen Zwillingen nach 40Jahren "It's only Rock'n'Roll" allerdings nicht mehr. Dafür leuchtet die Lichtshow zur Dämmerung immer heller. Je dunkler der Abend wird, umso deutlicher erscheint die Bühne als Altar im elektrischen Kerzenschein.
Mick Jagger als Marathon laufender Priester soll es recht sein, bei Eintrittspreisen um 100Euro lohnt sich der Einsatz allemal. Wie oft er sein Hemd während der Show wechselt, ist völlig egal. Die Stones bleiben, was sie immer gewesen sind: ein Phänomen. Es ist, als hätten sie gar kein Alter mehr. Um nicht von Unsterblichkeit zu reden.