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"Tatort": Nachkritik zu "Borowski und die Kinder von Gaarden" "Tatort": Nachkritik zu "Borowski und die Kinder von Gaarden": Wenn ein Hund mehr Liebe als ein Kind bekommt

Von Christina Michaelis 29.03.2015, 18:02
Wenn ein Hund mehr Liebe bekommt als ein Kind: Borowski und die Kinder von Gaarden
Wenn ein Hund mehr Liebe bekommt als ein Kind: Borowski und die Kinder von Gaarden Bild: NDR/Christine Schroeder Lizenz

Worum ging es?

Im Kieler Brennpunktbezirk Gaarden wird der Hartz-IV-Empfänger Onno Steinhaus erschlagen in seinem schmuddeligen Schlafzimmer gefunden. Ein Racheakt? Mit Alkohol lockte der vorbestrafte Pädophile regelmäßig Kinder und Jugendliche zu sich, um mit ihnen Party zu machen und Pornos zu gucken - das wussten alle. Nicht nur die Nachbarn, sondern auch Polizeiwachtmeister Thorsten Rausch (brilliant gespielt von Tom Wlaschiha), der mit cooler Sonnenbrille betont oberlässig wie ein selbst ernannter Sheriff durch den Problembezirk stiefelt, nur um am Ende zur tragischsten Figur dieses „Tatorts“ zu werden. Kurz vor Steinhaus’ Tod tauchte ein Video im Netz auf, das Onno in verfänglicher Pose mit dem 15-jährigen Timo zeigte. Aber Timo hat den 60-Jährigen nicht getötet. Onno musste nicht sterben, weil er Kinder missbrauchte. Onno starb, weil er seinen Hund verprügelte.

Wer war der Täter?

Liebe, Zuneigung und Unterstützung? Fremdwörter für die Kinder in Gaarden. Sie müssen sich auf eigene Faust durchs kalte Leben schlagen. Grau sind in der gesellschaftlichen Randzone nicht nur die Häuserfassaden, grau und trostlos ist auch das Leben der Menschen. Für den kleinen Leon (Amar Saaifan), auch so einen Ausgestoßenen, ist Onnos riesiger Hund der beste Freund. Er geht nicht nur mit ihm Gassi, sondern zerrt ihn auch überall mit hin. Bei dem Tier bekommt er die Zuneigung und Geborgenheit, die ihm in seinem menschlichen Umfeld verwehrt bleiben. Als Onno Steinhaus - wohlwissend, was das in Leon auslöst - den Hund verprügelt, kann der Junge nicht tatenlos zugucken. Im Affekt greift er zu einem herumliegenden Hammer und schlägt zu, schlägt Onno tot, um seinem einzigen wahren Freund weitere Schmerzen zu ersparen.

Wie waren die Kommissare?

Axel Milberg ist Klaus Borowski und Klaus Borowski ist Axel Milberg. Auch in dieser „Tatort“-Folge glänzt Milberg in seiner Paraderolle. Obwohl er als Kieler Ermittler zwischendurch ganz schön ins Rudern gerät. Gaarden ist ein hartes Pflaster, seine Autorität zählt hier genau: nichts. Das muss Borowski gleich zu Beginn feststellen, als sich die Ghetto-Kids in der Nachbarschaft über seinen Dienstausweis lustig machen und den „alten Mann“ mit obszönen Gesten demütigen. Aber es dauert nicht lange, und Borowski schlägt zurück: Mit einem Kettenschloss schließt er sich mit der vorlauten Truppe kurzerhand auf einem Bolzplatz ein. Und wartet. Vorhersehbar, aber trotzdem gut gespielt: irgendwann werden die Kids auf ihre Art gesprächig. 

Beinahe rührend indes: Auch, wenn Empathie und Einfühlungsvermögen ja nicht gerade Borowskis ganz große Stärken sind, lässt ihn das Schicksal des 15-jährigen Timo nicht kalt. Timo ist wie so viele in Gaarden desillusioniert, ja verzweifelt, kriegt auf seine Bewerbungsschreiben keine Antworten. Dabei will er doch nur Schiffsmechaniker werden. Borowski fühlt mit. Dieser knallharte Ermittler wird für ein paar Augenblicke tatsächlich ein klein wenig weich.

Aber auch Sibel Kekilli spielt Sarah Brandt wieder einmal sehr glaubwürdig und sehenswert. Mehr freiwillig denn unfreiwillig lässt sie sich auf ein Psychospiel mit Thorsten „Rauschi“ ein (die Schauspieler Kekilli und Wlaschiha kennen sich übrigens aus „Game of Thrones“), ihrem ehemaligen Nachbarn, der schon zu Jugendtagen der coolste von allen war. Dass mit ihrem heimlichen Held von damals etwas nicht stimmt, merkt Brandt trotz der triefenden Anmachsprüche (oder vielleicht auch gerade deswegen?!) aber schnell. Und ermittelt auf ihre Art weiter. Spannend gemacht.

Was war die beste Szene?

In jedem Fall das Kartenspiel in „Rauschis“ Wohnung, spannungstechnisch der Höhepunkt dieses Krimis. Auf dem Tisch steht der Vodka und in der Luft hängt die unausgesprochene Wahrheit. Hin und her, hin und her, es geht im Wechsel um die Vergangenheit, aber Brandt will mehr, sie will endlich Licht in diesen Mordfall bringen. Der Zuschauer hält den Atem an, als Thorsten Rausch für einen Moment entschwindet und Brandt die verschwundene Metalldose aus Steinhaus’ Wohnung öffnet. Der Bezirkssheriff ist zwar nicht immer ganz ehrlich, aber mit dem Mord hatte er tatsächlich nichts zu tun. Er ist nicht der gesuchte Täter - er ist selbst ein tragisches Opfer.

Was störte am meisten?

Die Spitznamen. Anfangs ist es ja noch lustig, dieses ständige „Rauschi“, wie Borowski seinen Kollegen verächtlich nennt. Irgendwann nervt es schlicht. Genau wie „Rauschis“ Kosename für Sarah Brandt: die meiste Zeit nennt er sie nur „kleine Nachbarin“.

Das Fazit?

In Gaarden herrschen Trostlosigkeit und Verwahrlosung. Die Gardinen sind vergilbt, die Tapeten ranzig. Die Drehbuchautoren Eva und Volker A. Zahn haben mit „Borowski und die Kinder von Garden“ ein Sozialdrama konzipiert, das die Realität, wie es sie wohl in vielen deutschen Großstädten gibt, authentisch nachzeichnet. Gut gemacht ist auch die Inszenierung: Regisseur Florian Gärtner arbeitet mit düsteren Bildern und beklemmender Musik. Die Darsteller - nicht nur die erwachsenen, sondern auch die jungen - spielen absolut authentisch. Besonders Bruno Alexander, der den 15-jährigen Timo mimt, verleiht seiner Figur viel Ausdruck und macht die Verzweiflung, diese ganze Perspektivlosigkeit, spürbar. Der neue „Tatort“ aus Kiel macht auf ganzer Linie ziemlich betroffen. Im Gaardener Sozialghetto bekommt ein Hund mehr Liebe als ein Kind. 

Die Gang interessiert sich zu Anfang herzlich wenig für Borowskis Bemühungen.
Die Gang interessiert sich zu Anfang herzlich wenig für Borowskis Bemühungen.
Bild: NDR/Christine Schroeder Lizenz
Recherche im Problembezirk
Recherche im Problembezirk
Bild: NDR/Christine Schroeder Lizenz
Kommissar Borowski und die Kinder von Gaarden
Kommissar Borowski und die Kinder von Gaarden
Bild: NDR/Christine Schroeder Lizenz