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"Tatort"-Kritik "Tatort"-Kritik: Russisch Roulette am Bodensee

Von Markus Schwering 19.01.2014, 22:52

Ambiente: Konstanz ist eine nette Stadt mit netter Umgebung, aber die Leute dort sind nicht durchweg nett. Diese Einschätzung jedenfalls legt der neue SWR-„Tatort“ vom Bodensee nahe. Oder ist es etwa nett, eine Wette darauf abzuschließen, dass einem Rollstuhlfahrer, der von der Straße auf den Bürgersteig gelangen möchte, fünf Minuten lang niemand helfen wird – und dabei seelenruhig zuzugucken? Solches bringt der smarte Hedgefonds-Manager Marcus Pracht (Torben Liebrecht) fertig, Mitglied einer kleinen Clique von jungen Reichen und Schönen, die wie Trabanten um  den Millionenerbe und Playboy Benjamin Wolters  (Michael Pink) kreisen – und auf der Suche nach dem ultimativen Kick Maß und Mitte verloren haben. Figuren wie Gordon Gekko oder Jordan Belfort gibt es halt nicht nur an der Wall Street, sondern auch im deutschen Südwesten.

Darum ging’s: Wolters wird eines Tages tot in seiner Villa aufgefunden. Zwei Schüsse aus kurzer Distanz, keine Einbruchspuren. Wer kommt als Täter in Betracht, fragt Kommissarin Klara Blum (Eva Mattes), im Fortgang tatkräftig von ihrem aus dem Skiurlaub zurückgekehrten Kollegen Kai Perlmann (Sebastian Bezzel) unterstützt, die „Überlebenden“ der Truppe.

Einer von ihnen, einst zweiter Sieger in einer Castingshow und nun definitiv auf der Verliererpiste, zieht achselzuckend-vielsagend das Telefonbuch. Wolters, ein rücksichtslos-dekadenter Zyniker und Sadist, hatte so viele Feinde, wie es Sandkörner auf der Insel Mainau gibt. Und darunter befanden sich mutmaßlich eben auch die engsten „Freunde“ inklusive aktuelle Gespielin und ausgemusterte Ex,  die von Wolters abhängig waren und dessen  Demütigungsrituale über sich ergehen lassen mussten.

Zudem schmelzen bei näherem Hinsehen deren Alibis,  die zunächst recht stichfest zu sein scheinen, hin wie Gletschereis in der Sonne. Und dann bekommt Perlmann, dem es gelungen ist, sich undercover in die Gruppe einzu- und das Vertrauen ihrer Mitglieder  zu erschleichen, Wind von einer perversen Party am Vorabend von Wolters’ Tod: Da sollte  – im Rahmen einer bizarren Aufnahmezeremonie – Russisch Roulette gespielt werden.

Die war’s: Ermordet wird Wolters von seiner neuen „Freundin“ Alisa Adam (Anna Bederke), die sich als einzige an besagtem Abend dessen Spielchen widersetzte. Aber nicht deshalb muss Wolters sterben: Auch Alisa hat sich gleichsam undercover in die Gruppe eingeschlichen, um mehr über den mysteriösen Tod ihres Bruders zu erfahren, der einige Zeit zuvor am Bodensee angeblich Selbstmord verübte. Was sie herausbekommt: Der Bruder wurde Opfer besagter Russisch Roulette-Zeremonie. Die war zwar, das muss zu Ehren von Wolters angemerkt werden,  in der Regel gefaked – in dem verwendeten Revolver steckte, ohne dass die Beteiligten das wussten, gar kein Geschoss. In diesem Fall aber hatte der Aspirant, um besonders cool herüberzukommen, ausdrücklich um die eine Kugel gebeten.   Das Motiv für Alisas Rache an Wolters wie dann auch an den übrigen  Cliquenmitgliedern:  Sie hatten den Bruder nicht von seinem  (selbst-)mörderischen Tun abgehalten.

Fazit: Dieser Krimi von Leo P. Ard (Buch) und Jürgen Bretzinger (Regie) gehört zu den „kritischen“ „Tatorts“: Er setzt eine  zeittypische Lebenswelt, die der hedonistischen Yuppies, auf die sozialmoralische Anklagebank. Das mag etwas holzhammermäßig-klischeehaft geschehen, erhält auch motivisch ein starkes Eigengewicht. Dennoch schaffen es die Autoren letztlich,  Kriminalhandlung und Milieustudie angemessen im Gleichgewicht zu halten.

Und vor allem: Dieser „Tatort“ brennt, dank guter Schauspielerleistungen und  konziser  Dramaturgie,  ab wie ein Feuerwerk. Das überraschende Ende und finale Showdown  zeitigt sogar noch einige exquisit funkelnde Raketen.  Es gibt keine leeren Motive und nur wenige Ungereimtheiten, falsche Spuren werden überlegen platziert, die Fäden souverän vernäht. Hier waltet einfach gutes Handwerk, als dessen  Effekt sich beim Zuschauer ein nicht alltäglicher Spannungszustand einstellt.