Sven Regener Sven Regener: Der Preis des Verbrechens
Halle (Saale)/MZ. - Die Frage der Berühmtheit stellt sich nicht. "Ich könnte jetzt hier bei mir runtergehen und den Tabakladenmann fragen, ob er die Toten Hosen kennt", sagt Sven Regener. Der würde eifrig nicken, glaubt er. "Aber bei Element of Crime?" Regener, seit einem Vierteljahrhundert Sänger und Trompeter der Band, schüttelt den Kopf. "So richtig prominent, dass einen jeder kennt, ist man ja nicht."
Allerdings war das auch nie das Ziel des Quartetts, das Regener und Gitarrist Jakob Ilja vor einem Vierteljahrhundert in Berlin gründeten. "Ich wollte immer in einer Band spielen", erinnert sich der seit dem Erfolg seiner Buch-Trilogie um den traumtänzerischen Exil-Kreuzberger Herr Lehmann unbekannteste Star der deutschen Unterhaltungsbranche. "Bloß im Norden waren die immer alle so verschlossen."
Aber auch Sven Regener, eben 50 geworden und mit mehr als einer Million verkauften "Lehmann"-Büchern der deutsche Romanautor des letzten Jahrzehnts, ist keiner, der mit der Tür ins Haus fällt. Alles an ihm ist lakonisch, ruhig, schaumgebremst. Als Junge habe er "Elternmusik" wie die von Gottfried Böttger gehört, sagt Regener. "Hamburg 75 fand ich Klasse." Dabei sei der Riesenhit des heute an der Hochschule Anhalt lehrenden Pianisten ja wohl doch eher verschroben. Wie das passt: Auf ihrem neuen Album hat seine Band Böttgers Hit neu eingespielt. Es klingt, als hätten sie ihn geschrieben.
Es ist die Art dieser Kapelle, bei keiner Mode mitzumarschieren. Regener, Trommler Pappik, Ilja und ihr Bassist Dave Young lassen Lieder aus der Zeit fallen, bis die Zeit sie einholt. Mit 15 hat Sven Regener angefangen, Trompete zu lernen. Ausgerechnet Trompete! Als er mit 21 nach Berlin geht, "wurde ich plötzlich ständig eingeladen, weil alle einen Trompeter in der Band wollten". Nach zwei Wochen ist Regener schon Mitglied bei der Gruppe Zatopek, die einen richtigen Plattenvertrag hat. "Und nach der ersten Tournee war ich an den Rock'n'Roll verloren."
Der Mann, der in Berlin lebt, aber immer noch nordisch lange A mit weggelassenen R kombiniert, träumte gar nicht von einer Laufbahn als Sänger und Frontmann. Doch der Sänger, den seine Band damals hat, ist nicht so, wie soll man sagen, nun ja . . . Sven Regener ist Diplomat. Er habe dann gesagt, "vielleicht sing' ich das mal lieber". Seitdem singt er alles. Für einen Trompeter, reflektiert Regener mit 25 Jahren Abstand, sei das eine gute Idee gewesen. "Nur Trompete, das hat auf Dauer irgendwie auch keine Zukunft."
Was sie nicht machen wollten, hatten sie gut überlegt. Keine Neue Deutsche Welle! "Aus Angst, damit verwechselt zu werden." Also muss als Name ein sperriger Filmtitel von Lars von Trier herhalten. Also muss englisch gesungen werden. "Für einen Neuling war es gut, sich hinter einer fremden Sprache verstecken zu können", gibt Regener zu. Erst als ihm Jahre später ein deutscher Text zuläuft, stellt das Quartett verblüfft fest, "dass das immer noch unsere Art Musik ist."
Es ist die Zeit kurz nach dem Mauerfall, die ganze Welt hört grollende Grungegitarren. Element of Crime spielen leise Lieder über die Tage "Damals hinterm Mond". Lieder wie der Mann, der sie singt. Mit vielen A und "irgendwie" keinem R und so lustig, dass niemand gleich lachen muss.
Zur ersten Tour mit deutschen Texten kommen weniger Leute als zur letzten mit englischen. "Jetzt war's das", habe er gedacht, beschreibt Regener, in der Stimme ein Achselzucken. Kann man ja gar nichts machen. "Man muss dem Weg folgen, den man geht."
Wer weiß, wozu es gut ist. "Wenn wir damals einen Hit gehabt hätten", ist der Sänger sicher, "gäbe es uns heute nicht mehr." So hingegen hat er Zeit, einer Freundin zum Geburtstag diese kleine Geschichte zu schreiben. Morgengrauen in Berlin, betrunkener Mann trifft Hund auf einer einsamen Straße. "Damit das hinhaut, musste der Mann in einer Kneipe arbeiten, er musste ja frühmorgens nach Hause gehen."
Es ist die Geburtsstunde von Herrn Lehmann, der später mit Vornamen Frank heißen und der kantige Held von drei Büchern und zwei Filmen sein wird. Was auch für seinen Erfinder Regener nicht absehbar gewesen ist. "Ich dachte, Mensch, vielleicht ist da mehr drin." Ganze neun Jahre lang. Denn Zweifel scheinen angebracht. Als er endlich beschlossen hat, den ersten Band zu schreiben, trifft er einen alten Bekannten und es gibt das übliche "Und was machst Du so"-Gespräch. Regener schmunzelt: "Ich sagte, ich schreib da ein Buch über einen Typen, der in einer Kneipe arbeitet und die Freundin läuft ihm irgendwie weg." Viel Glück, nickte der Freund mitleidig. "Das klang wahrscheinlich nicht so, als ob ich da eine ganz heiße Sachen laufen habe."
Allerdings ist es die richtige Zeit, der richtige Ort, der richtige Ton. Mit Sven Regeners Herrn Lehmann, einem Selbstporträt des Autoren in den gedeckten Farben eines Element-Of-Crime-Songtextes, entdeckt die Republik zuerst die bizarre Aussteigerwelt des Westberlins der 80er Jahre und später den Parallelkosmos der Bundeswehr. "Hirnlos, mechanisch", hat Regener den in Erinnerung, "da ging zu meiner Zeit kaum einer vom Gymnasium hin." Aber er, denn Sven Regener wollte eine bessere Welt: "Ich war ja Kommunist", sagt er, "organisiert beim Kommunistischen Bund Westdeutschland." Dort sei Beschlusslage gewesen, dass die Genossen zum Bund gehen, um die Arbeiter in Uniform zu agitieren. "Die hatten ja meist keinen Bock auf Zivildienst."
Die Absicht ist, die Weltrevolution voranzubringen. Das Ergebnis kalte Ernüchterung. "Da waren alle ohnehin so am Meckern, die brauchten mich nicht", sagt Sven Regener. Nach zehn Minuten in der Kaserne habe er gemerkt, "dass das alles Schwachsinn war". Und in den folgenden sechs Monaten bis zur Anerkennung seiner nachträglichen Verweigerung sei ihm klar geworden, "dass ich den autoritären Scheiß da nicht brauche".
Als sich das Kasernentor endlich das letzte Mal für ihn öffnet, ist Sven Regener auch kein Kommunist mehr. "Klingt komisch", sagt er, "aber die Bundeswehr hat mir die Augen über den Kommunismus geöffnet." Wenn ich die Armee schon so abstoßend finde, habe er gedacht, was soll das nur werden, wenn erst die ganze Gesellschaft organisiert ist wie eine Armee.
Da muss man mal ehrlich zu sich selbst sein, würde Frank Lehmann sagen, da muss man mal nachdenken und seine Schlüsse ziehen. Redet Regener, klingt Lehmann immer ein bisschen durch. Man will keiner von vielen sein, der in die gleiche Richtung marschiert, hat Regener seinerzeit für sich festgestellt. "Ich habe gemerkt, wie sehr ich doch Individualist bin."
Einer wie Herr Lehmann, einer aber auch wie Henrik, der stille Held aus Leander Haußmanns Kinohit "NVA", zu dem Element of Crime die Filmmusik lieferten. Als der Bremer Regener Bundeswehr-Uniform trug, diente der Quedlinburger Haußmann im Ein-Strich-kein-Strich-Anzug der Volksarmee. "Wir haben auch sonst viele Parallelen entdeckt", sagt Regener, "wobei die NVA viel härter war."
Wie die ganze DDR, die Sven Regener kurz vor ihrem Ende kennenlernt, als seine Band illegal in der Berliner Zionskirche spielt. "Auf geborgten Instrumenten, nur mein Trompetenmundstück hatte ich dabei." Nach dem ersten Auftritt gibt es Wein und lange Gespräche in einer WG in der Nähe. "Da haben wir erstmal begriffen, wie das läuft in der DDR." Nach dem zweiten Konzert überfallen Skinheads das Publikum, die Band flüchtet aus der Sakristei in die Büsche, flieht zurück in den Westen. "Wir wussten ja gar nicht, was da los war."
Sie haben keine Interviews gegeben wie die Toten Hosen, die ebenfalls illegal in Ostberlin aufgetreten waren. Sie haben die Gelegenheit nicht genutzt, Schlagzeilen zu machen, um ein bisschen berühmter zu werden. In den meisten Geschichten zum Zionskirchen-Überfall kommen Element of Crime deshalb bis heute nur als anonyme "westdeutsche Punkband" vor. Gut so, sagt Sven Regener, lakonisch, ruhig und schaumgebremst. "Man muss sowas nicht immer gleich an die große Glocke hängen."
Element of Crime live: 16. Februar Steintor Halle, 17. 2. Amo Magdeburg