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Street Art in Snösätragränd Street Art in Snösätragränd: Wie aus einem Schrottplatz Schwedens größte Graffiti-Galerie wurde

Von Maike Schultz 02.06.2015, 17:06
Was auf den ersten Blick wirkt, wie echte Ballons, ist tatsächlich ein Gemälde des Stockholmer Graffiti-Künstlers Daniel Fahlström und zeigt das hohe Niveau, das auf Schwedens wichtigstem Street-Art-Gelände Snösätragränd zu sehen ist.
Was auf den ersten Blick wirkt, wie echte Ballons, ist tatsächlich ein Gemälde des Stockholmer Graffiti-Künstlers Daniel Fahlström und zeigt das hohe Niveau, das auf Schwedens wichtigstem Street-Art-Gelände Snösätragränd zu sehen ist. Maike Schultz Lizenz

Stockholm - Ist das Kunst oder kann das weg? Für die einen sind Graffiti eine künstlerische Ausdruckform, für die anderen der pure Vandalismus. Eine öffentliche Debatte darüber war in Stockholm lange Zeit gar nicht möglich. Denn bis zum vergangenen Herbst galt in der schwedischen Hauptstadt die Null-Toleranz-Regelung gegenüber Street Art.

Etabliert wurde diese Politik in den späten Neunzigerjahren - und beinhaltete nicht nur harte Strafen, sondern auch ein Verbot jeglicher kultureller Auseinandersetzeung mit dem Thema. Als einzige Hauptstadt in Europa erlaubte Stockholm noch nicht einmal das Aufhängen von Postern, die für ein Street-Art-Festival im Riksteatern warben. Auch eine Podiumsdiskussion im Kulturhuset musste abgesagt werden.

Jegliche Darstellung von Graffiti könnte zu illegalem Sprühen animieren, lautete die Begründung er Regierenden. Inspiriert wurde die Null-Toleranz-Haltung von einer ähnlichen Regelung in New York, die der frühere Bürgermeister Giuliani eingeführt hatte. Sein Argument: Graffiti sei eine Art Einstiegsdroge zu einer kriminellen Karriere.

Inzwischen haben sich die Stockholmer Behörden eines Besseren besonnen, und das ist vielleicht auch Snösätra zu verdanken. Das Industriegebiet im südlich des Stadtzentrums gelegenen Vorort Rågsved war früher für Schießereien rivalisierender Drogenbanden bekannt. Doch seit es letzten Sommer in einen legalen Treffpunkt für Sprayer verwandelt wurde, hat Snösätra sich zum touristischen Hotspot entwickelt.

"Seitdem sind die Polizeieinsätze in dieser Gegend um 80 Prozent zurückgegangen", sagt Hugo Röjgård, Kunsthistoriker und selbst passionierter Sprayer. Als Aktivist bei Graffitifrämjandet - einer Gruppe, die Graffiti-Workshops organisiert und Firmen wie Spotify Street-Artists zur Gestaltung ihrer Räume vermittelt - bietet der 29-jährige Kunstinteressierten eine Tour durch die etwa 600 Meter lange Straße an, die Snösätragränd heißt. Und inzwischen nicht nur einen Schrottplatz, sondern auch eine einzigartige, urbane Galerie beherbergt.

"Angefangen hat alles mit dem Graffiti-Künstler Daniel Rohlin. Er und seine Freunde haben eine Wand zum Sprayen gesucht und dafür die ansässigen Firmen kontaktiert", erzählt Röjgård. Ein Hausbesitzer habe sich dann bereit erklärt, sein Gebäude zur Verfügung zu stellen - "und als die Nachbarn sahen, was darauf entstand, haben sie nachgezogen."

Inzwischen fungiert Rohlin als eine Art Kurator für die Wände in Snösätra, das zu einem zweiten "5 Pointz" werden soll, dem legendären, inzwischen leider geschlossenen Sprayer-Mekka in New York. "Er sucht die Künstler aus. Wer in Snösätra sprühen will, muss ihm zuerst eine Skizze seiner Pläne zeigen", so Röjgård.

Wer den staubigen Weg zwischen Baggern, Müllbergen und Autowracks entlanggeht, findet dort über 120 Arbeiten von Schwedens besten Graffiti-Künstlern an den Betonmauern. Stil und Ästhetik sind so divers, wie es nicht ein mal die Berliner East Side Gallery schafft: Nicht nur klassische Name Tags, sondern auch surrealistische Gemälde, ironische Versionen berühmter Kunstwerke, Porträts und fotorealistische 3-D-Zeichnungen sind darunter.

Einige beziehen den Ort, an dem sie entstanden sind, als Teil einer Konzeptkunst-Installation mit ein, andere haben eine persönliche Geschichte. "Das harte Klima für die schwedische Graffiti-Szene hat auch dazu geführt, dass deren Stil immer ausdrucksstärker geworden ist", meint Röjgård.

Obwohl sie nicht im Reiseführer steht, lockt die kostenlose Open-Air-Ausstellung in Snösätra wöchentlich hunderte Besucher aus aller Welt an. Jung und Alt, Kunstliebhaber genau wie ein Publikum, das ansonsten wohl niemals ein Museum aufsuchen würde.

Die der Witterung ausgesetzten "Exponate" in Snösätra werden alle paar Monate übermalt, um neuen Talenten Platz zu machen. Im April kamen 8000 Street-Art-Fans zum großen "Spring Remake" im Rahmen der Stockholm Art Week: Zwischen DJ-Sets und Street-Food-Trucks konnten sie den Sprayern ein ganzes Wochenende lang bei der Arbeit zuschauen.

Hugo Röjgård, der bei dieser Gelegenheit auch eine Wand bemalen durfte, hofft, mit solchen Events noch mehr Menschen von den künstlerischen Fähigkeiten der Graffitiszene zu überzeugen. "Denn bei welcher anderen Kunstform gibt es schon die Möglichkeit, der Live-Entstehung so vieler Werke beizuwohnen?"

Begleiten Sie uns beim virtuellen Rundgang durch Snösätra! Für die Berliner Zeitung erklärt Graffiti-Experte Hugo Röjgård die spannendsten Werke:

Von außen erahnt man noch nicht die Schätze, die einen auf der staubigen Straße "Snösätragränd" erwarten.
Von außen erahnt man noch nicht die Schätze, die einen auf der staubigen Straße "Snösätragränd" erwarten.
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