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Stimmige Inszenierung von «Herr Lehmann»

Von Christian Jung 03.10.2008, 12:59

Heidelberg/dpa. - Die Achtziger sind zurück, inklusive Null-Bock-Generation und «Vokuhila»-Frisuren mit langem Nackenhaar: Mit viel Beifall ist die Uraufführung der Bühnenfassung des Erfolgsromans «Herr Lehmann» von Sven Regener am Theater Heidelberg aufgenommen worden.

Die stimmige 90-minütige Inszenierung von Regisseurin Nina Gühlstorff und Schauspieldirektor Axel Preuß unterschied sich textlich durch eine Achtziger-Jahre-Sprache deutlich von weiteren an deutschen Bühnen gespielten Versionen des Romanstoffs. Sie hielt sich an Regeners Handlungsstränge und überzeugte durch ein minimalistisches Bühnenbild von Marouscha Levy aus einer weiß-blau-orangenen Fliesenwand, einem Klostuhl, einer Badewanne und einer Spüle.

Für die Heidelberger Uraufführung steuerte Erfolgsautor Sven Regener die in Kreuzberg spielende Szene «Technoclub Orbit Nacht» bei - eine bisher nicht veröffentliche Episode vom Übergang von der Disko- in die Techno-Szene der 1990er Jahre. Damit könnte der Wandel der Null-Bock-Generation im anonymisierten Großstadtleben der 1980er Jahre in die entpolitisierte Spaß-Kultur der Neunziger symbolisiert sein, die beide im krassen Kontrast zur kalten Leistungsgesellschaft der Gegenwart stehen.

In dem Stück dreht sich alles um den Anti-Helden Frank Lehmann (Matthias Rott). Dieser von allen als «Herr Lehmann» bezeichnete Lebenskünstler wohnt 1989 im Westberliner Kiez, fühlt sich noch nicht erwachsen, ernährt sich vorwiegend von Bier, pflegt geistreiche Nonsens-Dialoge über «Lebenssinn» und «Zeit», arbeitet nachts in einer Bar und genießt sein Nichtstuer-Leben nach dem Motto «Sei einfach du selbst». Den Zusammenbruch der DDR durch die friedliche Revolution im «Arbeiter- und Bauernstaat» im Herbst 1989 bekommen Lehmann und seine Freunde Erwin und Karl als Vertreter der Biertrinker-Bohème nicht mit. In ihrem Mikrokosmos Kreuzberg dreht sich vielmehr alles um die neue sarkastische Kneipenköchin Katrin (Monika Wiedemer) mit ihrem eng anliegenden Leo-Fummel, den hellblauen Peace-Ohrringen und weißen Rüschen-Söckchen zu Schnürschuhen.

Auch der plötzlich auftauchende Biertrinker Kristall-Rainer, grandios von Heiner Junghans gespielt, erregt Interesse. Er wird für einen «Zivilbullen» gehalten, der angeblich nach Drogen konsumierenden Gästen Ausschau hält. Als dann auch noch Lehmanns Eltern aus Westdeutschland ihren Sohn besuchen und dieser kurz darauf erfolglos versucht, in die DDR einzureisen, um einer Verwandten 500 Mark zu überbringen, gerät das Selbstbild ins Wanken. Er möchte aus seiner lauwarmen Welt ohne Höhen und Tiefen ausbrechen. Ob ihm das gelingt, bleibt an seinem 30. Geburtstag - dem 9. November 1989 - offen. Denn das Stück endet mit der Öffnung der Berliner Mauer und der Einspielung des Liedes «Keine Atempause. Geschichte wird gemacht. Es geht voran!» der Band Fehlfarben.

Durch detailgetreue Schilderungen flüchtiger Mode- und Zeiterscheinungen wurden in der Heidelberger Uraufführung die 80er Jahre gekonnt wachgerufen. Den verkommenen, aber liebenswerten Einzelgänger-Figuren ist wohl jeder schon mal begegnet. Mancher Zuschauer mag sich bei der Aufführung auch an seine eigenen Modesünden erinnert haben.