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Stasi-Spitzel in der eigenen Familie

Von Ulrike Cordes 23.02.2009, 13:13

Hamburg/dpa. - Hamburg ­ Ihren Onkel hatte Susanne Schädlich sehr gemocht - diesen humorvollen Mann, der so DDR-untypisch Pfeife rauchte, Tweed- Jacken und englische Lebensart liebte.

Dabei zeigte Karlheinz Schädlich stets ein offenes Ohr für die Sorgen und Gedanken seiner Familie: Zum Beispiel war er zur Stelle, als sein Bruder, der Ostberliner Autor mit Publikationsverbot Hans Joachim Schädlich, mit Frau und Töchtern 1977 in den Westen ausreisen durfte, nachdem er die Protestresolution gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns mit unterzeichnet hatte. Telefonisch und bei Treffen hielt sich der Onkel auch später auf dem Laufenden. Über den Bruder hatte er zuvor weitere oppositionelle DDR-Intellektuelle kennengelernt sowie etwa mit Günter Grass ganz privat diskutiert. Mit diesem Onkel sprach die Nichte ab 1992 kein Wort mehr ­ denn da erfuhr sie, dass Karlheinz Schädlich als «IM Schäfer» über das Gehörte und Gesehene minuziös der Stasi berichtet hatte. Im Dezember 2007 beendete der Onkel sein Leben mit einem Schuss in den Mund.

In ihrem Buch «Immer wieder Dezember ­ Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich» erzählt die heute 43-jährige Susanne Schädlich von Verrat und Zersetzung in der eigenen Familie. In den Akten der früheren Gauck-Behörde fand sie aufgelistet, wie der 1931 geborene Historiker und Lehrer Karlheinz Schädlich dem Ministerium für Staatssicherheit seit 1975 zugerarbeitet hatte: Seiner Nichte wurde somit im Nachhinein klar, warum am Elternhaus in Köpenick nachts immer wieder fremde Männer in Trenchcoats geklingelt hatten. Warum selbst die neue Wohnung in Hamburg-Blankenese von Unbekannten durcheinandergebracht worden war. Warum der Onkel sie später auf ihrer Lehrstellensuche in ein ominöses Gebäude nach Pankow geschickt hatte. Und schließlich ­ warum zwischen 1974 und 1977 bei den sogenannten «Werkstattgesprächen» ihres Vaters mit ost- und westdeutschen Literaten wie Sarah Kirsch und Reiner Kunze, Nicolas Born und Günter Grass in der Nähe ein Bauwagen auf der Straße gestanden hatte, auch wenn dort gar nicht gebaut wurde.

Klarheit, in einem weit umfassenderen Sinn, für sich selbst und für andere ist wohl auch das Ziel ihres Erinnerungsbandes. Obwohl sie ihr abgrundtiefes Entsetzen über die Untat spürbar macht, schreibt Schädlich, dass sie nichts richtigstellen und nicht abrechnen wolle. Es ginge ihr vielmehr «um Himmelsrichtungen zum Beispiel. Um das Wort WO. Wie auf einem Kompass. Wo gehöre ich hin, wo komme ich her?» Es geht im Buch letztlich um bewusst gelebtes Leben in einem Land, das zweigeteilt war: Selbstvergewisserung und Standortbestimmung wurden für die Autorin existenziell notwendig ­ nicht nur wegen der seelischen Erschütterungen durch das Wissen, im ureigenen Umfeld einem Wolf im Schafspelz vertraut zu haben. In ihrem in kunstvoller Schlichtheit verfassten, mit Dokumenten und Briefzitaten versehenen Werk vermittelt Schädlich ebenso eindringlich die grundlegenden Gefühle des Fremdseins, der Nicht-Zugehörigkeit, die sie zeitlebens begleitet hatten: Zunächst Außenseiter in der DDR-Diktatur, war es ihr und ihrer Familie danach lange schwer gefallen, in der westdeutschen Wirklichkeit «anzukommen».

Für Susanne Schädlich führte der Weg zur Heimat auch in sich selbst über die weite Ferne: Elf Jahre verbrachte sie in den USA ­ thematisiert schon in ihrem literarischen Debüt «Nirgendwoher irgendwohin» (2007). Dann ließ sie sich mit Mann und Kindern in der Stadt nieder, in der sie aufgewachsen war: in Berlin. Späten Wiederannäherungsversuchen des Onkels kurz vor seinem Tod mochte sie dort nicht mehr entsprechen.

Susanne Schädlich

Immer wieder Dezember

Der Westen, die Stasi, der Onkel und ich

Droemer-Verlag, Hamburg

240 S., Euro 16,95

ISDN 978-3-426-27463-7 (dpa)