Spielfilm «Die Flucht» Spielfilm «Die Flucht»: Das Trauma von zwölf Millionen Deutschen

Hamburg/dpa. - Rund zwölf Millionen Deutsche waren im Zweiten Weltkrieg auf der Flucht, schätzen Historiker. Ein großer Teil der Vertriebenen stammt aus Ostpreußen. Erst in den vergangenen Jahren wagten sich vornehmlich Dokumentarfilmer wie der ZDF-Geschichtsexperte Guido Knopp an das heikle Thema, bei dem sie die Waage zwischen dem unendlichem Leid der Zivilbevölkerung und den Forderungen Betroffener nach Wiedergutmachung für den verloren gegangenen Besitz halten mussten. Arte (an diesem Freitag um 20.40 Uhr) und die ARD (am Sonntag und Montag jeweils um 20.15 Uhr) zeigennun den neuen, für neun Millionen Euro entstandenen Zweiteiler «Die Flucht» mit Maria Furtwängler in der Hauptrolle. Der Film wurde unter Bedingungen gedreht, die an das Schicksal der Flüchtlinge vor mehr als 60 Jahren erinnern.
Die erfundene Geschichte des Dramas beginnt Mitte 1944 in Berlin. Lena Gräfin von Mahlenberg (Furtwängler) verlässt dieReichshauptstadt, um sich mit ihrem todkranken Vater Berthold (Jürgen Hentsch) auf dem ostpreußischen Landsitz auszusöhnen. Ihre Entscheidung für ihr Kind, die Tochter Viktoria, und gegen die Ehe mit Heinrich Graf von Gernstorff (Tonio Arango) hatte zum Bruch mit dem Vater geführt. Um zu beweisen, dass sie eine gute Tochter ist, übernimmt sie auf dem Landgut Verantwortung. Sie will Heinrich sogar heiraten. Doch wenige Stunden vor der Hochzeit platzt dieEheschließung, denn Heinrich hat seinen Bruder Ferdinand alsDeserteur ausgemacht. In seiner Verzweiflung nimmt sich dieser dasLeben. Unterdessen rückt die Front näher.
Lena beginnt notgedrungen mit den Vorbereitungen für die Flucht.Sie ist auf die Mithilfe des Kriegsgefangenen François (Jean-YvesBerteloot) angewiesen, der mit einigen anderen Franzosen und Polenauf dem Mahlenbergschen Gut Frondienst leisten muss. Er verachtet dieGutsherrin und lässt sie seine Abneigung spüren. Beiden bleibt aberkeine Wahl: Sie müssen unter Zeitdruck vom Landsitz der Mahlenbergsflüchten. Der Treck setzt sich in Bewegung, allerdings ohne LenasVater, der auf dem Gut bleibt und angesichts der russischen Soldatenzunächst die Hunde erschießt und dann sich selbst. Währenddessenmüssen die Familie, die Angestellten und die Gefangenen dengefährlichsten Teil ihrer Flucht bewältigen: Das Nadelöhr KurischeNehrung, das unter Dauerbeschuss russischer Flugzeuge steht.
Das Leidensszenario der Flüchtenden, die Bomben aufs Haff, im Eiseinbrechende Kutschen sind Bilder, die den Zuschauer nicht kaltlassen können. Die 40-jährige Furtwängler erwartet, dass nach derAusstrahlung neue Diskussionen über die Vergangenheit der Deutscheneinsetzen. «Ich hoffe: Unser Film trägt dazu bei, dass junge und alteMenschen über die schlimmsten Kapitel der deutschen Geschichtemiteinander reden», sagt die Schauspielerin, die für die ARD auch die«Tatort»-Kommissarin Charlotte Lindholm mimt. Ihre Kinder hätten denZweiteiler bereits vor der Ausstrahlung zu sehen bekommen. Sie habeihnen auch zeigen wollen, wie im alten Preußen die Interessen desIndividuums sich den Interessen der Gemeinschaft hätten unterordnenmüssen.
Die Produktionsfirma Teamworx drehte im Winter 2005/2006 vierMonate lang in Litauen. Regisseur Kai Wessel, der den Zweiteiler mitbis zu 2100 Komparsen und 250 Pferdewagen im eiskalten Litauenrealisierte, hatte bereits vor 15 Jahren das Angebot vorliegen, einenFilm über die Flucht zu drehen. «Damals dachte ich nicht im Traumdaran, mich mit diesem als revanchistisch angesehenen Themaauseinander zu setzen.» Er habe einen Film produzieren wollen, derkonsequent aus der Perspektive der Zivilbevölkerung erzählt werde.Die Dreharbeiten in vier Jahreszeiten mit dem großen Ensemble undvielen Standorten seien eine große Herausforderung gewesen. Aufcomputer-generierte Animationen habe er verzichtet zu Gunsten«echter» Darsteller und Kulissen.
Lena von Mahlenberg schafft es auf der «Flucht» tatsächlich, denTreck über das vereiste Haff zu führen. Die Familie landet in Bayern.Sie ist in Sicherheit. Niemandem wird nach dem Ende des ZweitenWeltkriegs noch etwas passieren. Doch die Gefühlswelt der schönenGräfin ist gespalten. Arrangiert sie sich mit Heinrich, dem Vaterihres Kindes, oder hat sich François in ihrem Herzen durchgesetzt?