Spiegel-Skandal Spiegel-Skandal um Claas Relotius: Journalisten-Preise sollten abgeschafft - oder reformiert werden

Halle (Saale) - Wer den Namen nicht kannte, hatte dieser Tage viel Gelegenheit, ihn buchstabieren zu lernen. Die Medien-Meldungen sind voll von ihm: Claas Relotius. Ein 33-jähriger „Spiegel“-Redakteur, an dessen Reportage-Fälschungen sich kommentierend eine ganze Branche abarbeitet.
Nein, nicht die ganze: Weniger als ein Zehntel des Zeitungs-Geschäfts, nämlich das überregionale, das sich gern als das Ganze gibt. „Der Spiegel“ serviert den angeblich größtmöglichen Betrugsfall als offenbar größtmögliche Aufarbeitung. Man ernährt sich in diesem Fall publizistisch von sich selbst. Das heißt, auch von einem jungen Kollegen, der dem Rollen- und Schreibmodell seiner Mentoren gefolgt war.
Hinweise auf den Fall soll es bereits im April gegeben haben. Dass man sich erst jetzt zur Öffentlichkeit entschlossen hat, ist bemerkenswert. Die Vorweihnachtstage empfehlen sich für die Platzierung von Nachrichten, die ein größtmögliches Interesse garantieren, aber bitte nicht entfalten sollen.
Rund 500 Journalistenpreise gibt es in Deutschland
Was kurz vor Weihnachten ein Aufreger war, ist mit Beginn des neuen Jahres der Schnee von gestern. Helene Fischer und Florian Silbereisen, die dieser Tage ihre Trennung verkündeten, wissen das. „Der Spiegel“ auch. Der will im Januar eine neue Chefredaktion ins Rennen schicken, zu der auch der Vorgesetzte von Claas Relotius gehört. Dieser Chef hat einen langen Aufdeckungs-Text genau in jenem Stil geschrieben, mit dem Relotius scheiterte.
Interessant ist der Fall im Blick auf einen Berufszweig, der offenbar auch jede schlechte Möglichkeit nutzt, sich selbst zu inszenieren. Relotius gehörte zu den Vorzeige-Figuren des Geschäfts. Das Einholen von Preisen betrieb er als Sport.
In keiner anderen Branche fällt das so leicht wie im Journalismus. Es gibt rund 500 Journalistenpreise - ein Hinweis darauf, wie preissüchtig das Metier ist. Ein Unterschied zum Literaturbetrieb - in dem die Autoren oft von den Preisen leben müssen - ist der, dass man sich für die Presse-Preise fast durchweg selbst bewerben muss, was die Öffentlichkeit kaum weiß. Von vornherein wird ein Aufmerksamkeits-Syndrom bedient. Nicht, „Herr Lehrer, ich kann was!“, sondern, „ich will was!“, leitet das Handeln. Relotius hat sich oft gemeldet.
Journalistenpreise: Es gibt jetzt zwei Möglichkeiten
Das Verfahren der Selbstbewerbung ist Ausdruck der Selbstbezüglichkeit des Betriebes. Wer davon weiß, wundert sich nicht, wenn die immer gleichen Namen bei den Top-Preisen auftauchen. Und die immergleichen Juroren! Das alles muss aufhören.
Dazu gibt es zwei Möglichkeiten: Journalistenpreise ganz abschaffen, wofür es gute Gründe gibt - nicht zuletzt den, die Öffentlichkeit, die man herstellt, nicht zu benutzen. Oder, wenn es nicht ganz ohne gehen sollte: Keine Selbstbewerbungen zulassen.
Letzteres würde freilich den Jurys Mühe bereiten. Die Mühelosigkeit aber gehört zu dem Milieu, das sich nun laut ausweint. In diesem Milieu gibt es kein selbstverständliches „Wir“. Ein Unterschied zwischen überregionalem Auslands-Journalismus, den Claas Relotius so fabelhaft bediente, und regionalem Vor-Ort-Journalismus besteht eben darin, dass der regionale Journalist den Menschen, über die er berichtet, immer wieder begegnet. Oder begegnen kann. Geschrieben wird mit sofortiger Wirkung. Es ist oft ein Handgemenge. Auch daran kann man scheitern.
Journalistenpreise: Feiern für Gratismut
Der TV-Moderator Jörg Thadeusz diente der Branche als Preis-Überreicher. „Immer wieder“ habe er Relotius den „Bembel“ persönlich in die Hand gedrückt, teilt er auf Twitter mit. Ohne von dem Skandal zu wissen, habe er im Sommer aus Unlust diese Einsätze eingestellt. Jetzt schreibt er: „Wir haben den Journalismus, den wir haben, weil wir es so wollen. Weil wir es so richtig finden. Weil wir uns gerne für unseren Gratismut feiern und Bestnoten für eine Haltung geben, die wir keiner Diktatur entgegentrotzen müssen.“ Thadeusz will erst dann wieder einen Journalistenpreis vergeben, „wenn Verkehrspiloten auch für jede zehnte geglückte Landung prämiert werden. Also auch dafür, dass sie lediglich ihren Job machen“.
Wenn Jörg Thadeusz jetzt noch feststellen würde, dass seine vom berlin-brandenburgischen Fernsehsender RBB ausgestrahlte Journalisten Talk-Show „Die Beobachter“ seit Jahren selbstverständlich und ausschließlich mit westdeutschen Journalisten besetzt ist, hätte er noch einen zusätzlichen Beitrag zur Kritik einer notorisch selbstbezüglichen Presse geleistet. (mz)