Sonja Isemer Sonja Isemer: Frankenstein ist eine Frau!

Halle (Saale) - Dass Männer in Frauenrollen schlüpfen und umgekehrt, ist - zumal auf der Bühne - relativ gängig. Doch in Halle ist es geradezu eine Paraderolle, für die sich Sonja Isemer in diesen Tagen am Neuen Theater die Hosen anzieht. Nämlich für keinen Geringeren als für Victor Frankenstein.
Dem ist es ja bekanntlich gelungen, aus Leichenteilen einen Körper nachzubauen und zum Leben zu erwecken - in der Hoffnung, etwas ganz Außergewöhnliches zu schaffen. Doch als die Kreatur tatsächlich erwacht, ist der ehrgeizige Wissenschaftler nur noch angewidert und ergreift die Flucht ...
Nun spielt Sonja Isemer den Frankenstein, der 1818 in einem Schauerroman das Licht literarischen Welt erblickt hat - erschaffen übrigens auch von einer Frau: Mary Shelley. Wie kam es zu dieser Männerrolle, Frau Isemer? „Die Besetzung macht ja das Theater, also der Regisseur, aber ich hatte schon früh angedeutet, dass ich mich sehr für diese Rolle interessiere“, so die aus Kiel stammende junge Schauspielerin, die ihre ersten Bühnenerfahrungen in einer Theater-AG ihrer Schule gesammelt und von 2005 bis 2009 an der Bayerischen Theaterakademie „August Everding“ in München studiert hat.
Männerrollen haben Sonja Isemer schon immer fasziniert
Sie habe die spannende Frage gereizt, was es bedeute, wenn ein Wissenschaftler das tut, was eigentlich nur Frauen können: etwas Neues schaffen, Leben gebären. Was passiert, wenn diese männliche Figur von einer Frau verkörpert wird?
Zunächst erschaffe Frankenstein ja den Prototyp eines Mannes, wie er sein solle - doch dann: gefällt’s ihm nicht. „Warum gelingt es ihm nicht, das von ihm selbst geschaffene Wesen zu lieben?“ Für Sonja Isemer ist dank ihrer Rolle die Antwort klar: „Eben weil es keine natürliche Kreatur ist, die Frankenstein da ’gebiert’“. Nun sei es dem Zuschauer überlassen, sich selbst Gedanken zu machen, eine eigene Sicht auf das Geschehen zu haben.
Männerrollen haben Sonja Isemer schon immer fasziniert, auch wenn sie in ihrer Schauspiel-Laufbahn vorwiegend Frauenrollen innehatte. So war sie von 2010 bis 2014 am Staatstheater Schwerin engagiert und arbeitete dort mit Regisseuren wie Christian Weise, Henriette Hörnigk (die sie nach Halle holte), und Thorleifur Örn Arnarsson. 2010 spielte sie in Herbert Fritschs Inszenierung „Biberpelz“ die Rolle der Leontine.
In der Freizeit ein Gegenprogramm zum Theater
2011 wurde sie von „theater heute“ als beste Nachwuchsschauspielerin des Jahres für ihre Darstellung der Beatrice in Herbert Fritschs Inszenierung „Diener zweier Herren“ nominiert.
Seit der Spielzeit 2014/15 gehört sie nun zum Ensemble des Neuen Theaters in Halle. Hier ist sie unter anderem in „Schuld und Sühne“, „Der nackte Wahnsinn“, „König Lear“, „Wut“ zu erleben. Gibt es denn eine Lieblingsrolle?
„Ich spiele wahnsinnig gerne in Jelineks ’Wut’ mit, weil es da weniger um eine Rolle, sondern um den Prozess der Rollenfindung geht. Und auch die Beatrice und die Leontine gehören dazu“, so die Schauspielerin, die in ihrer Freizeit gern etwas Handfestes tut: Alte Möbel vom Flohmarkt aufbereiten. Denn das sei das komplette Gegenprogramm zum Theaterspielen - und das Ergebnis sehr greifbar. Ihr liebstes Stück: ein alter Küchenschrank.
Und wen würde sie liebend gern mal spielen? „Richard III.“ Weil Männer-Charaktere auf der Bühne in Sonja Isemers Augen fast immer vielschichtiger sind als Frauen. (mz)
„Frankenstein“ im NT am Samstag, 19.30 Uhr und Sonntag, 18 Uhr