Sonderausstellung "Fleisch" Sonderausstellung "Fleisch": Erotik im Museum

Berlin - Fleisch ist ein Stück Lebenskraft - so warb einst das produzierende Gewerbe. Das werden Vegetarier und Veganer ihrer Natur gemäß anders sehen. Aber auch für sie, nicht nur für die Freunde des Schnitzels und der Roulade, mag die Sonderausstellung „Fleisch“ im Alten Museum in Berlin von Reiz sein. Denn das ehrwürdige Haus am Lustgarten macht der eigenen Adresse mit dieser Schau doppelte Ehre.
Ausstellung Fleisch im Alten Museum Berlin: Sinn und Sinnlichkeit
Dort, in Nachbarschaft der dauerhaft ausgestellten, Ehrfurcht gebietenden Plastiken aus Marmor, Gips oder Bronze, geht es nun nicht nur um den Sinn, sondern explizit auch um die Sinnlichkeit. Und was sie miteinander zu tun haben.
Ein nahe liegender Gedanke in einem Haus, in dem man das klassische Körperideal in seiner unbefangenen, prachtvoll proportionierten Nacktheit feiern kann und soll, zu der wir uns heute allerdings kaum noch verstehen können, während Prüderie und Pornografie allerorten dicht bei dicht siedeln.
Die Idee, eine solche Diskussion im Tempel des Schönen anzuzetteln, hat grundsätzlich Charme. Der ist ohne Schamlosigkeit im guten, also freiheitlich aufgeklärten Sinne nicht zu denken. Tatsächlich wird man die dort dauerhaft aufgestellten, entblößten Figuren zwar nicht als anstößig, aber durchaus als erotisch empfinden können.
Diesem Ansatz geht nun die Ausstellung in der Ausstellung mit provozierender Konsequenz nach. Da wird im Bild eine Installation der italienischen Künstlerin Vanessa Beecroft aus dem Jahr 2005 nachvollzogen.
Drei Stunden lang standen und lagerten damals 100 Frauen verschiedenen Alters in der Neuen Nationalgalerie Berlin, sämtlich nur mit Feinstrumpfhosen bekleidet. Ein Kunstwerk entstand, das an die legendäre Tanz-Arbeit der Choreografin Sasha Waltz an der Schaubühne Berlin erinnert.
Faszinierend, Nacktheit zu erleben, ohne dabei an Nacktheit zu denken, ein Fest der Schönheit, der Anmut und des Respekts, das seit der Premiere im Jahr 2000 weltweit gefeiert worden ist.
Fleisch ist aber auch ganz gegenständlich, also kulinarisch im engeren Sinne zu verstehen. Dafür haben die Gestalter der Berliner Ausstellung nicht etwa, was man hätte vermuten können, üppige Stillleben niederländischer Meister herangezogen.
Vielmehr werden Fotografien von Schlachtern bei der Arbeit und von Männern gezeigt, die ausgeblutete Schweinehälften auf den Schultern in eine Metzgerei tragen. Das ist die weniger appetitliche Seite des gleichen Geschäfts, an dessen Ende die von Würsten, Pasteten und Schinken strotzende Ladentheke steht.
Eindeutig setzt man hier auf die Verfremdung, um das Vertraute zu hinterfragen und Gewissheiten zu erschüttern, hinter denen nur zu oft die Verdrängung steht. Genussvoll anzusehen sind diese Bilder jedenfalls nicht - auch wenn sie zugleich Achtung gegenüber jenen Menschen vermitteln, die diese schwere Arbeit zu verrichten haben.
Vollkommen wird die Irritation angesichts einer kleinen Ton-Plastik, die auf die Zeit zwischen Christi Geburt und dem Jahr 600 datiert wird und aus Peru stammt. Man blickt auf die exotisch anmutende Zweiergruppe unter ihrem Glassturz und begreift erst beim zweiten Hinsehen, was hier geschieht: Der Titel, den das indianische Kunstwerk trägt, bestätigt das Beobachtete wissenschaftlich nüchtern: „Frau, den Tod masturbierend“.
Ausstellung Fleisch im Alten Museum Berlin: Pornografie vor den Pornos
Hier gerät man unweigerlich ins Grübeln: Gab es Pornografie vor den Pornos? Machtmissbrauch und sexuelle Gewalt gibt es jedenfalls schon lange. Und wer die einschlägigen Stellen im Alten Testament kennt, wird auch von der Allgegenwart und der Poesie des Leiblichen erfahren haben.
Was aber hat diese Frau mit dem Tod zu schaffen? Und auf diese Weise! Will sie sich freikaufen aus ihrer Sterblichkeit? Prostituiert sie sich, um ein es anderen Leben zu retten? Selten lässt einen ein Kunstwerk so befremdet zurück. (mz)

