Sommergespräch mit André Bücker Sommergespräch mit André Bücker: "Betteln wäre würdelos"
Dessau-Rosslau/MZ - Vom New Yorker Jazz-Club „Village Vanguard“, wo John Coltrane spielte, bis zum legendären Anwesen „Graceland“ von Elvis: 3 000 Kilometer ist André Bücker gerade auf den Spuren von Musiklegenden durch die USA gefahren. Zurück gekommen ist er mit Husten - zu viel Klimaanlagen-Luft. Ansonsten präsentiert sich der gebürtige Niedersachse überraschend entspannt beim Interview im Luisium, ein Schloss mit Park aus dem 18. Jahrhundert in Dessau-Roßlau. Der 45-jährige Regisseur und Intendant ist nach Stationen in Dortmund, Wilhemshaven und Halberstadt seit 2009 Chef des Anhaltischen Theaters. Über Ungerechtigkeit, Besserwisserei und seinen Lieblingsminister sprach mit Bücker MZ-Redakteur Kai Gauselmann.
Herr Bücker, wir sind im Luisium. Haben Sie einen grünen Daumen oder treiben Sie sich gerne im Garten der Macht herum?
Bücker: Das war einer der ersten Orte, die ich besucht habe, als ich nach Dessau gekommen bin. Und ich war sofort begeistert.
Ist das nur hübsche Kulisse oder verbinden sie damit tiefere Gefühle?
Bücker: Das Spannungsfeld von Natur und Kunst, diese völlig durchdacht-gestaltete Landschaft - diese Mischung macht für mich die Faszination aus. Dieses Spannungsfeld ist in jedem Menschen angelegt und spiegelt sich hier.
Sind Sie also als Typ so ordentlich wie ein englischer Garten?
Bücker: Auch Leute, die eine Portion Sehnsucht nach Unordnung haben, mögen Ordnung. Bei mir gibt es auch beides.
Ist das nicht widersprüchlich?
Bücker: Widerspruch ist doch das einzig Interessante an allen Dingen. Menschen geraten immer wieder in Extremsituationen und sind in Widersprüchen gefangen.
Das klingt, als würde es mit Ihnen nicht langweilig - aber auch anstrengend. Haben Sie jemanden gefunden, der das aushält?
Bücker (lacht): Es ist total angenehm mit mir zusammen zu leben! Ja, ich habe jemanden gefunden, der es mit mir aushält.
Und, wer ist so verrückt?
Bücker: Meine Freundin ist ehemalige Tänzerin und Italienerin. Die hat auch Temperament, das passt. Und wir haben einen kleinen Sohn, der ist jetzt drei.
Was hat Sie zur Kultur gezogen?
Bücker: Ich wollte eigentlich immer Archäologie studieren, weil ich mich seit meiner Kindheit für Geschichte interessiert habe. Eine Freundin war in einer Theatergruppe und hat mich mitgenommen, da habe ich mich als Schauspieler ausprobiert.
Also klassisch ein schlechter Schauspieler, der dann lieber inszeniert?
Bücker: Nein, ich weiß nicht, ob ich so schlecht war. Ich habe nur gemerkt, dass ich lieber der wäre, der die Anweisungen gibt. Ich glaube, ich war schon immer einer, der es besser weiß. Ich war auch Klassensprecher und im Stadtschülerrat und solche Geschichten.
Auf der nächsten Seite lesen Sie: Bücker zu den Kulturkürzungen und warum er nicht lieb sein kann.
Wie ist man passionierter Besserwisser, ohne dass es eklig wird?
Ich frage für einen Freund.
Bücker: Ich bin nicht Besserwisser in dem Sinne, dass ich schon immer alles weiß. Sondern in diesem Sinne: Ich bin neugierig, das ist so ein Grundmotor von mir. Ich bin immer neugierig, bilde mir eine Meinung und entscheide gerne und schnell. Ich habe keine Angst vor Fehlern.
Warum, sind Sie leichtfertig?
Bücker: Nein. Ich bin nur bereit, Konsequenzen zu tragen. Für mich ist einfach nichts schlimmer, als keine Entscheidung zu treffen.
Als Zwischenfazit: Sie sind also ein angstfreier Besserwisser mit Neigung zum Widerspruch. Da waren Sie ja prädestiniert, den Widerstand gegen die Kürzungen an den Theatern anzuführen. Sie hatten Lust auf diese Auseinandersetzung, oder?
Bücker (lacht): Wenn man als Künstler keine Lust an der Auseinandersetzung hat, ist man kein Künstler. Ich hatte so alte sozialdemokratische Haudegen als Lehrer an der Schule. Die haben mir eingebläut: Man darf sich Ungerechtigkeiten nicht gefallen lassen und muss sich wehren.
Und als die Kürzungen kamen, war klar: Der Klassensprecher muss ran.
Bücker: Hätte ich das mit dem Klassensprecher mal nicht erzählt. Aber: Ja. Ich fand das einfach unanständig. Man kann doch nicht einfach von jetzt auf gleich so viel Geld aus so einem Betrieb ziehen, von dem man weiß, dass er schon strukturelle Probleme hat.
Haben Sie es eigentlich im Guten probiert, mit Gesprächen und dem Versprechen an den Kultusminister, immer lieb zu sein?
Bücker: Liebsein ist nicht unsere Aufgabe als Theater. Es gibt die Ansicht, dass wir unpolitische Amüsierbuden zu sein haben. Das sind wir nicht, wir mischen uns auch ein. Wir haben nicht nur protestiert. Wir haben auf allen Ebenen Gespräche geführt, auch mehrfach mit dem Minister. Es führte aber kein argumentativer Weg rein.
Dann haben Sie sich gesagt: Wer nicht hören will, muss fühlen?
Bücker: Nein, aber wir wollten Öffentlichkeit herstellen. Das ist ja normal, wenn man bei den Verantwortlichen nicht gehört wird. Dafür haben wir kreative Mittel bemüht, wie es zu uns passt.
Auf der nächsten Seite lesen Sie: Ob sich der Widerstand gelohnt hat und Bückers Verhältnis zu Bullerjahn.
Haben Sie sich auch Gedanken gemacht um das richtige Maß an Widerstand?
Bücker: Das war nie angelegt auf größtmögliche Provokation. Wir wollten nur die Diskussion in Gang halten.
In Ihrer Inszenierung der „Beggar’s Opera“ ist der Kultus-Staatssekretär Jan Hofmann (SPD) als lächerliche Figur „Mr. Hopeman“ aufgetaucht und es gab die Zeile: „Haseloff und Bullerjahn - kleiner Geist und Größenwahn“. Da kann man als Betroffener beleidigt sein.
Bücker: Nein. Das kann man nur als Beleidigung verstehen, wenn man das Stück nicht gesehen hat. Hopeman ist keine lächerliche Figur. Er ist in dem Stück der Träger der Ideen der Landesregierung - mit ganz viel Originalzitaten von Politikern. Wir haben nicht mit der Keule auf die Politik gedroschen.
Und das mit dem Kleingeist?
Bücker: Die Textzeile ist aus einer Szene, in der Hopeman seine Argumente sagt und die Schauspieler halten gegen. Das ist poetische Verdichtung und ein Stück Kabarett, das arbeitet mit den Mitteln der Zuspitzung und Persiflage. Sich satirisch kritisieren zu lassen - das gehört zum Tagesgeschäft eines Politikers. Nehmen Sie mal das Derbleckn in Bayern - was sich da Horst Seehofer anhören muss, während er dabeisitzt! Möglicherweise haben unsere Protagonisten nicht soviel Humor und Kritikfähigkeit.
Hat sich der Widerstand gelohnt?
Bücker: Ja. Wir haben etwas erreicht - und wir haben unsere Selbstachtung erhalten.
Jetzt steht aber ihre Stelle zur Debatte. Bekommen Sie die Quittung, weil sie so frech waren?
Bücker: Sieht so aus.
Und was machen Sie jetzt: Kämpfen? Um Gnade betteln?
Bücker: Nein. Ich bin entspannt. Ich weiß, was ich kann. Die Entscheidung hat nichts mit meiner Eignung zu tun. Wenn man mich nicht mehr will, will man mich eben nicht mehr. Betteln wäre würdelos, das kommt nicht in Frage.
Wenden Sie sich jetzt eigentlich enttäuscht von der Politik ab?
Bücker: Nein, ich gehe zu jeder Wahl. Das glauben Sie mir vielleicht nicht, aber ich habe auch zum Beispiel wirklich Respekt vor Finanzminister Jens Bullerjahn.
Der hat das Sparen doch erfunden.
Bücker: Ich meine es Ernst. In seinem Job kriegt man so oder so nur Prügel, man kann es keinem Recht machen. Das auszuhalten und unbeirrt sein Ding durchzuziehen - Respekt! Er ist der einzige, bei dem ich so etwas wie eine Vision erkennen kann: Schuldenfreiheit.