Sigmund Freud Sigmund Freud: Seine Analysen prägen unser Bewusstsein
Wien/dpa. - Sigmund Freud hat wie wenige andereWissenschaftler unsere Sicht der Welt geprägt. Seine Erkenntnissehaben, wenn auch oft missverstanden, auf vielfältige Weise Einzug inunseren Alltag genommen: Wir lachen über Loriots «Ödipussi» undzittern bei Hitchcocks «Vertigo», diagnostizieren «Vater-» oder«Ödipuskomplex» und leisten uns «Freudsche Versprecher». Am 6. Maijährt sich der Geburtstag Freuds zum 150. Mal.
Der Welt gilt Freud (1856-1939) heute als Wiener, hatte er dochdie wesentlichen Phasen seines Lebens und Wirkens in derösterreichischen Hauptstadt verbracht. Tatsächlich stammt er jedochaus dem kleinen Ort Friedberg in Mähren. Sein Vater Jakob war indritter Ehe mit der deutlich jüngeren Amalie Nathanson verheiratet.Sigismund Schlomo, der sich später wegen einer NamensgleichheitSigmund nannte, war der erste Sohn des Paares, das danach nochweitere sieben Kinder bekam. Freud, der schon als Schüler zumüberzeugten Atheisten wurde, verwies später oft auf die wichtigePrägung in der Welt des assimilierten Judentums der bürgerlichenKleinstadt.
Wirtschaftliche Schwierigkeiten zwingen die Familie zum Umzug indie Großstadt Wien. In den ersten Schuljahren fällt Freud alsaufgeweckter, intelligenter Schüler mit breiter Begabung auf. Erbleibt Klassenbester bis zum Abitur 1873 und liebäugelt mit einemJura-Studium. Dass er sich sich dann für Medizin entschließt,geschieht nicht primär aus Interesse am Arztberuf, wie er selbstfesthält: «Eher bewegte mich eine Art von Wissbegierde, die sich abermehr auf menschliche Verhältnisse als auf natürliche Objekte bezog.»
Er promoviert 1881 und strebt eine Forscherkarriere an: «Ich binkraftvoll beisammen und gedenke die Wissenschaft auszubeuten, anstattmich zu ihren Gunsten ausbeuten zu lassen.» Doch um seine heimlicheVerlobte Martha Bernays (1861-1951) heiraten zu können, kehrt erzunächst der wenig lukrativen Forschung den Rücken. 1882 tritt Freudeine Assistenzstelle im Wiener Allgemeinen Krankenhaus an.
Er beschäftigt sich mit der Behandlung von Hysterien, erhält beieiner Studienreise nach Paris Einblick in die Methoden der Hypnoseund Suggestion und entwickelt mit seinem Lehrer Josef Breuer die«Sprechtherapie» als Vorstufe der Psychoanalyse. Er habilitiert sich1885 als Dozent für Neuropathologie an der Universität Wien, wird1902 außerordentlicher und 1920 ordentlicher Professor. 1886 eröffneter eine private Praxis und kann nach fünfjähriger Verlobung endlichheiraten. Martha und Sigmund Freud bekommen sechs Kinder.
Aus seinen Beobachtungen vor allem bei Behandlungen mit derposthypnotischen Suggestion entwickelt Freud die Vorstellung voneinem «Unbewussten» als jenem seelischen Bereich, der nicht derbewussten Kontrolle unterliegt. Hier vermutet er die Ursache der sogenannten Neurosen und sieht freie Assoziationen und Traumbilder alseinen Weg, dieses Unbewusste analytisch zu erfassen und zu deuten.
1899 erscheint seine Schrift «Die Traumdeutung», dasErscheinungsdatum gilt als Geburtsstunde der Psychoanalyse. In «DasIch und das Es» (1923) beschreibt Freud sein Drei-Instanzen-Modellder menschlichen Psyche als Zusammenspiel von triebgesteuertem Es,bewusstem Ich und gesellschaftlich-kulturell geformtem Über-Ich. Ausseiner Theorie des Unbewussten leitet Freud auch seineReligionskritik ab und erklärt Religion zur Zwangsneurose.
Freuds psychoanalytische Lehre gewinnt international raschAnhänger und Kritiker. In den 20er Jahren ist Freud einer derweltweit bekanntesten Wissenschaftler, der mit Schriften wie«Massenpsychologie und Ich-Analyse» (1921) oder «Das Unbehagen in derKultur» (1930) heftige Debatten auslöst. Gleichzeitig bringt derzunehmende Antisemitismus Freud und seine Familie immer mehr inBedrängnis. «Ich betrachtete mich geistig als Deutschen, bis ich dieZunahme des antisemitischen Vorurteils in Deutschland undDeutschösterreich bemerkte», hält der vehemente Atheist 1926 fest:«Seit dieser Zeit ziehe ich es vor, mich einen Juden zu nennen.»
An seinem 70. Geburtstag wird Freud noch zum Ehrenbürger Wiensernannt, 1930 erhält der anerkannte Wissenschaftler den Goethepreisder Stadt Frankfurt am Main. Dann fallen seine Schriften derBücherverbrennung der Nationalsozialisten zum Opfer. 1938 emigriertder 82-Jährige mit seiner Familie nach London. Der seit Jahren anGaumenkrebs leidende Freud führt seine Arbeit bis zuletzt fort. Am23. September 1939 bittet er nach zahlreichen Operationen seinenHausarzt um eine tödliche Dosis Morphium und stirbt.