«Siegfried Lenz» «Siegfried Lenz»: Erste Biografie über einen auch wortkargen Autor

Springe/Hamburg/dpa. - Es ist schon eine gewisse Ironie derGeschichte: In seinen Bestseller-Romanen «Deutschstunde» und«Heimatmuseum» oder der Erzählung «Ein Kriegsende» setzt sichSiegfried Lenz immer wieder mit der Vergangenheit auseinander. Esgeht um die NS-Zeit, um einen falschen Pflichtbegriff, umHeimatverlust und Befehlsverweigerung. Doch über sein Elternhaus undseine Kindheit, seine Zeit in der Hitlerjugend und als Soldat hat derbedeutende Schriftsteller der Nachkriegsliteratur - er war beiKriegsende 19 Jahre jung - stets nur spärliche Angaben gemacht.
Der schleswig-holsteinische Journalist Erich Maletzke hat jetzt -pünktlich zum 80. Geburtstag des Autors am 17. März - erstmals denLebensweg des in Masuren geborenen Literaten nachgezeichnet. Und wiees im Klappentext weiter heißt, zeige sich, «dass fast alle überSiegfried Lenz veröffentlichten Lebensläufe zumindest teilweiseumgeschrieben werden müssen».
Warum sollte diese Zeit die Öffentlichkeit überhauptinteressieren? Lenz selbst erinnert immer wieder gern an seinenfrüheren Deutschlehrer, der jedes literarische Werk vor dembiografischen Hintergrund seines Schöpfers sah, jede Dichtung sei«ein Ausgang aus biografischer Not».
Die Recherchen von Maletzke ergeben folgendes Bild: Die Ehen derEltern und Großeltern von Siegfried Lenz scheiterten. Mutter Luisezog nach Braunsberg und heiratete neu, zum früh gestorbenen Vatersoll Lenz so gut wie keine Beziehung gehabt haben. Siegfried wuchsbei der Großmutter in Lyck auf. Er ging zunächst dort zur Schule, kamschließlich auf staatliche Internate nach Kappeln (Schleswig-Holstein) und dann nach Samter im damaligen Reichsgau Wartheland imbesetzten Polen. 1944/1945 Kriegsmarine: Lenz tat Dienst auf dem inder Ostsee operierenden Panzerkreuzer «Admiral Scheer», der zumKriegsende hin Flüchtlinge und Verletzte von Pillau nach Kielbrachte. Lenz gehörte - anders als manchmal dargestellt - nicht zurRestbesatzung, als das Schiff in der Kieler Förde im Bombenhagelkenterte.
In den letzten Kriegswochen wurde der Marinesoldat nach Dänemarkversetzt. Sein Desertieren wenige Tage vor Kriegsende hat Lenz ineiner früheren autobiografischen Skizze mit einer Exekutionbegründet: «Es genügte, bis zu dem Tag an dem sie einen erschossen,weil er sich aufgelehnt hatte, mit Worten; sie brauchten einen Toten,um uns an ihre Macht zu erinnern... ich erfuhr es und wachte auf.»Unklar ist laut Maletzke, ob Lenz Augenzeuge der Hinrichtung war.
Wenige Tag nach Lenz' Flucht war der Krieg zu Ende, der Soldatging in englische Kriegsgefangenschaft und arbeitete dort alsDolmetscher. Noch 1945 kam er nach Hamburg, studierte und ließ sichnach journalistischen Anfängen dort als freier Schriftsteller nieder.Nach 56 Ehejahren starb im Februar 2006 seine innig geliebte FrauLiselotte, die Lenz als Volontär bei der «Welt» kennen gelernt hatte.Sie war acht Jahre älter als er.
Die mit privaten Fotos illustrierte Biografie zeichnet neben derJugendzeit die Entwicklung von Lenz als Schriftsteller, seineKontakte zur Gruppe 47 und vor allem das Entstehen seiner Werke nach,die in ihren Kerngedanken vorgestellt werden. Für Maletzke ist Lenzein Autor, der neben Anerkennung für sein Talent als Erzähler («Sozärtlich war Suleyken») viel Prügel von der Kritik für die Mehrzahlseiner bislang 14 Romane hat einstecken müssen. Sehr anschaulich-unterhaltend entfaltet Maletzke auch die Beziehung zu denlangjährigen, teils schwierigen Freunden Helmut Schmidt, GünterGrass und Marcel Reich-Ranicki. Der «Freund Marcel» bespricht seit1970 kein Buch des Autors mehr.
Maletzkes «biographische Annäherung» ist ebenso einfühlsam wiehumorvoll geschrieben, der Autor nimmt sich selbst zurück undverzichtet auf Effekthascherei. Am Ende entsteht das Bild einesSchriftstellers, dessen Themen stark beeinflusst sind von einerJugend ohne heiles Elternhaus und den Verführungen der Nazi-Zeit.
Maletzke, der Lenz seit Anfang der 90er Jahre von Interviewskennt, war von Lenz' Hausverlag Hoffmann und Campe angesprochenworden und hatte die Biografie vorgeschlagen. Doch Lenz, anfänglichdem Projekt aufgeschlossen, ließ den Verlag nach einem ersten Treffenjedes weitere Zusammenkommen absagen. Warum Lenz so ungern über seineJugend spricht? «Ich weiß es nicht. Es muss etwa in der Familieschief gegangen sein», mutmaßt Maletzke.
Erich Maletzke: Siegfried Lenz - Eine biographische Annhäherung; zuKlampen! Verlag, Springe; 204 S., Euro 16,80; ISBN 3-934920-88-8