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Schweiz Schweiz: Theater um Zürcher Schauspielhaus

05.09.2002, 14:00
Christoph Marthaler
Christoph Marthaler obs

Zürich/dpa. - Die vorzeitige Entlassung des Intendanten zum Ende der Spielzeit2002/2003 wegen Misserfolgs beim Publikum hat die Zürcher Kulturszenein helle Aufregung versetzt. Das Unterstützer-Komitee «Marthalerbleibt» um den Publizisten Roger de Weck und den Schriftsteller AdolfMuschg protestiert mit Versammlungen und Happenings gegen denüberraschenden Rausschmiss des Intendanten. Es will erreichen, dassnicht vor März 2003 über die Zukunft des Schauspielhaus-Chefsentschieden wird, denn die am 24. Oktober mit Stefan PuchersInszenierung von Shakespeares «Richard III.» beginnende Saisonscheint finanziell noch gesichert.

Als Marthaler im September 2000 als künstlerischer Leiter desZürcher Schauspielhauses mit dem ironisch-unterhaltsamen Schweiz-Stück «Hotel Angst» anfing, wurde der Rückkehrer in die Heimatstürmisch bejubelt. Die musikalische Persiflage auf schweizerischeKlischees in der neu eröffneten Spielstätte Schiffbauhalle markiertezugleich einen Neuanfang der traditionsreichen Bühne, die imDornröschenschlaf versunken schien. Doch nun geht die Angst in derLimmatstadt um, dass dieses Aufsehen erregende Experimentieren mitneuer, auch schriller Bühnenkunst vorzeitig abgebrochen wird.

Selbst die Kritiker mussten eingestehen, dass Marthaler einProgramm vorlegte, der sich durch Spielfreude, Wagemut und Witzauszeichnet und die Kulturmetropole Zürich auch international wiederins Rampenlicht rückte. Dabei glänzte er nicht nur mit eigenenProduktionen, sondern holte innovative Kräfte wie Ruedi Häusermann,Falk Richter, Pucher oder die Choreografin Meg Stuart ans Haus.Feinde machte er sich aber schon im vergangenen Jahr, als er denPolit-Provokateur Christoph Schlingensief mit seinem als Neonazi-Aussteigerprojekt verbrämten «Hamlet» einlud.

Der Paukenschlag der vorzeitigen Kündigung übertönte den Jubelüber die Auszeichnung «Theater des Jahres», die das Schauspielhausvor wenigen Tagen nach 2001 zum zweiten Mal erhielt. Der vor allem inDeutschland zum Kultregisseur aufgestiegene Marthaler, derzeit mitseiner Schubert-Adaptation «Die Schöne Müllerin» bei der Ruhr-Triennale zu Gast, hat deutlich gemacht, dass er dieVertragsauflösung nicht hinnehmen will. Seine Unterstützer erbostauch, dass erst vor drei Monaten per Volksabstimmung höhereSubventionen für das Schauspielhaus gebilligt wurden. Der SchweizerAutor Thomas Hürlimann, dessen Stück «Synchron» Marthaler in dervergangenen Spielzeit auf die Zürcher Bühne brachte, schrieb in einemBeitrag für die Hamburger Wochenzeitung «Die Zeit» demSchauspielhaus-Verwaltungsrat ins Stammbuch: «Durch Ihren Entscheidmissachten Sie den Willen der Stimmbürger».

Doch das Aufsichtsgremium der Schauspielhaus Zürich AG zog mitBlick auf die Zahlen die Notbremse. Anstatt im Schnitt 170 000Zuschauer seien nur noch 120 000 pro Spielzeit gekommen. DieAuslastung im Stammhaus Pfauen sei von 60 auf 46 Prozent gesunken, inder Schiffbauhalle von 51 auf 45 Prozent, berichtete die «NeueZürcher Zeitung». Große Sponsoren wollten abspringen, hieß es.Ledergerber, stellvertretender Verwaltungsratsvorsitzender, nanntedie Vertragsauflösung schmerzlich, die finanzielle Lage aberkatastrophal.