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Schloss Seeburg als Gefängnis in der DDR Schloss Seeburg als Gefängnis in der DDR: 672 Personen aus Halle standen auf der Internierungsliste

Von Christoph Kuhn 26.09.2015, 13:50
Haftanstalt für den „Tag X“: Schloss Seeburg am Süßen See, von der Orangerie aus aufgenommen
Haftanstalt für den „Tag X“: Schloss Seeburg am Süßen See, von der Orangerie aus aufgenommen Klaus Winterfeld Lizenz

Seeburg - Zwischen Wäldchen, Weinbergen und Streuobstwiesen, auf einer Halbinsel im Süßen See bei Eisleben liegt Schloss Seeburg. Mit seinem Wehrturm, seinen meterdicken Mauern und eisernen Toren hielt es das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR für ein „zentrales Isolierungsobjekt“ gut geeignet.

Hier und im Schloss Reinharz bei Wittenberg wären bei Krisen, im Krieg, im „Spannungsfall“ oder auch „in Form von vorgezogenen Maßnahmen“ etwa 500 Frauen und Männer des Bezirks Halle eingesperrt worden: Personen, „von denen aufgrund ihrer verfestigten feindlich-negativen Grundhaltung gegenüber der sozialistischen Staats- und Gesellschaftsordnung und unter Berücksichtigung ihres bisherigen Auftretens, ihrer offiziell und inoffiziell bekannt gewordenen Äußerungen, ihrer Kontakte und Verbindungen sowie bestimmter Lebens- und Verhaltensweisen [...] eine akute Gefährdung der staatlichen Sicherheit und Ordnung ausgehen kann oder die solche Handlungen dulden oder unterstützen.“ Außerdem Personen mit Ausreiseanträgen, „Kriminelle, deren Strafverbüßung abgelaufen ist“, „stark kirchlich gebundene Kräfte“ - also alle, in denen der Staatssicherheitsdienst besondere „Unsicherheitsfaktoren“ sah.

Erfasst im „Vorbeugekomplex“

Über die Absichten des MfS im Schlossgelände war vor der Wende nur gerüchteweise etwas durchgedrungen. In den 80er Jahren soll ein Bauleiter ungewöhnliche Aufwendungen in der sonst vernachlässigten Gegend bemerkt haben. Seine vorlaute Frage, ob dahinter womöglich die Stasi stecke, wurde erst nach Öffnung der Archive beantwortet.

Seit 1990/91 kann die Öffentlichkeit von der Geheimen Kommandosache Kenntnis nehmen, die Stasi-Minister Mielke 1967 auf Anweisung des Nationalen Verteidigungsrates erließ. Der sogenannte „Vorbeugekomplex“ sah im „Spannungsfall“ außer der „Isolierung“ noch die „spezifisch-operativen Vorbeugungsmaßnahmen“ der „Überwachung“, „Karteierfassung“, „Verhaftung“ und „Internierung“ vor.

Im Unterschied zur „Isolierung“ von unzuverlässigen DDR-Bürgern war für Ausländer und Transitreisende die „Internierung“ vorgesehen. Hierfür berief sich eine Ministerratsanordnung von 1980 sogar auf die Menschenrechte: „Internierungslager sind unter Zugrundelegung des 4. Genfer Abkommens vom 12.8.1949 zum Schutze der Zivilpersonen in Kriegszeiten (...) sicherzustellen.“

Die Absicht, unbequeme Menschen in Lager zu sperren, ist für alle Diktaturen typisch, und auch in der DDR gab es schon in den frühen 60er Jahren konkrete Pläne dafür. 1959 gründete das SED-Politbüro „zentrale Einsatzleitungen“, sogenannte „operative, politische und militärische Führungskollektive für jeden Bezirk (...) zum Schutze der sozialistischen Errungenschaften“ und verabschiedete 1960 ein Gesetz zur Bildung des Nationalen Verteidigungsrates, dem die Bezirkseinsatzleitungen unterstellt wurden. Nach „Maßnahmen zur Unterdrückung konterrevolutionärer Aktionen“ erließ der SED-Ministerrat 1967 die erwähnte Direktive „zur Gewährleistung einer ständig hohen Einsatz- und Gefechtsbereitschaft“ mit „Mobilmachungsaufgaben“ des MfS. Mobilmachung bedeutete die „Umstellung der DDR vom Friedens- auf den Verteidigungszustand“.

Weit weg von der Staatsgrenze

Ende 1988 waren im „Vorbeugekomplex“ republikweit 86 000 Bürgerinnen und Bürger erfasst - davon die meisten, 24 237 Personen, aus dem Bezirk Karl-Marx-Stadt, gefolgt von den Bezirken Leipzig: 11 180 Personen, Dresden: 8 655, Magdeburg: 6 190, Gera: 6 073, Halle: 4 730. Städte mit den höchsten Zahlen sind Jena (2 700), Dresden (1 976) und Halle (672). Die meisten Renitenten waren also nicht in der Hauptstadt Berlin oder im Norden, sondern im Süden der DDR registriert. Für insgesamt 10 539 Menschen sollten Plätze in Isolierungslagern eingerichtet werden. Im Dezember 1988 existierten in der DDR etwa 17 „Isolierungsobjekte“, mindestens eins in jedem Bezirk. Nur im Bezirk Suhl fand sich kein geeignetes Objekt, das wenigstens 60 Kilometer von der Grenze zur Bundesrepublik entfernt war, wie es die Bestimmung ausdrücklich verlangte.

Christoph Kuhn, geboren 1951 in Dresden, lebt als freier Schriftsteller in Halle. Im Mitteldeutschen Verlag veröffentlichte er zuletzt gemeinsam mit Hans-Jörg Schönherr den Bildtextband „Sprüche aus Asche“ (112 Seiten, 14,95). Die Fotografien entstanden 1986 und 1996.

Zur Einheits-Feier in Halle am 3. Oktober stellen Kuhn und Schönherr um 17 Uhr im Ratshof das Buch vor. Um 18 Uhr beginnt die Festveranstaltung im großen Saal des Stadthauses. Um 19.30 Uhr spielt die Band Regentanz auf dem Marktplatz, bevor um 21 Uhr als Höhepunkt des Programms die Band Silly auftritt. Der Eintritt ist frei.

Übungen zum „Vorbeugekomplex“ wurden streng konspirativ vorbereitet und durchgeführt, mit harmlosen Bezeichnungen wie „Stabstraining“ oder „Lehrvorführung“ und Decknamen wie „Meilenstein“ oder „Katzensprung“. Einzelheiten, die Publikationen der Gauck-Behörde und der von Thomas Auerbach verfassten Dokumentation „Vorbereitung auf den Tag X“ zu entnehmen sind.

Jeder MfS-Kreisdienststellenleiter verwahrte zwei versiegelte Kuverts, die den Befehl zur „schlagartigen und konspirativen“ Verhaftung binnen 24 Stunden enthielten. Zuerst war der Aufenthalt der „Zielperson“ zu ermitteln und bei unbekanntem Aufenthalt nach ihr zu fahnden. Der Festnahme und dem Aufenthalt in „zeitweiligen Isolierungsstützpunkten“ (leerstehende Gefängnisse, Wohn- und Sportlerheime, Messehallen etc.) wäre die Deportation zum „zentralen Isolierungsobjekt“ gefolgt.

Alles war penibel geplant: Über jeden mit Nummer registrierten Isolierten wäre eine Handakte angelegt worden. Personenbeschreibung samt Fingerabdruckbogen, „Sicherstellung der Effekten“; Haus- und Kleiderordnung, Kennzeichen an Armbinden, erlaubter Besitz. Belegungsplan für Gemeinschaftsunterkünfte. Originalton: „Beim Betreten des Verwahrraumes durch Angehörige des Isolierungsobjektes haben die Verwahrraumältesten ,Achtung!’ zu rufen und Meldung zu erstatten.“

Der Gefangene ruft „Achtung!“

Ausgerüstet werden sollte die Wachgruppe mit Such-, Schutz- und Wachhunden („einzeln oder als Meute in der Sperrzone innerhalb bzw. außerhalb der Umwehrung, auch im Außenarbeitskommando...“), mit Führungsketten, Stopspray, Schlagstöcken, Reizwurfkörpern, Handgranaten, Panzerbüchsen, Maschinen- und Scharfschützengewehren. In der Grundrisskarte vom Schlossgelände sind die Schusswinkel eingezeichnet. Auch an medizinische Versorgung war gedacht.

Verboten war dem Zählappell fernzubleiben, ohne Aufsicht die Sicherheitszone zu betreten, „sich aus Räumen heraus bemerkbar zu machen“, körperliche Selbstbeschädigung herbeizuführen“, postalische Verbindung, außer in Todesfällen. Die Gefangenenkost hätte - je nach Jahreszeit - aus zwei warmen oder kalten Getränken und 300 Gramm Brot bestanden.

Aber wie hätte es konkret ausgesehen? Bei einem Gang über das Schlossgelände müssen die Pläne mit Phantasie ergänzt werden, denn man sieht weder draußen noch drinnen etwas, das an ein Gefängnis erinnert. Die technischen Vorkehrungen - Pritschen aufstellen, Stacheldraht spannen - wären wegen der strikten Geheimhaltung über Nacht passiert.

Heute fällt der Blick aus den Fenstern auf das Seeufer, die sanften Hügel, Laubfärbung. Das hätten die Gefangenen nicht sehen können. Man hätte nicht hinausblicken können, man hätte überhaupt nicht gewusst, wo man war. (mz)

Der Beitrag ist die gekürzte Fassung des Textes „Mit Entsetzen Scherz getrieben - Dissidenten von damals besichtigen das für sie eingerichtete Internierungslager“ aus Christoph Kuhns Buch „Sprüche aus Asche“

Christoph Kuhn
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