Schloss Ostrau Schloss Ostrau: Adelsherr und Feingeist
ostrau/MZ. - Gezeichnet von Fieber, lungenkrank und nur mit einem Köfferchen in der Hand, versteckt sich an einem Novembertag des Jahres 1945 der letzte Erbe von Ostrau, Hans-Hasso von Veltheim (1885-1956), auf einem Kohlezug, der ihn über die Zonengrenze mitten im Tagebau von Hötensleben nach Schöningen in Niedersachsen bringt. Die Enteignungswelle der Sowjets hatte ihn am 4. Oktober in Gestalt der Bodenkommission erreicht, die ihn zwar allen Besitzes entledigte, aber zynischerweise noch zum "Treuhänder" einsetzte.
Veltheim war alles andere als ein ins Schema passender "Junker", ganz im Gegenteil genoss er in der Region eine Wertschätzung quer durch alle Schichten. Doch alle Versuche örtlicher Kräfte, den Grafen schlimmstenfalls vor der Verhaftung zu bewahren, scheiterten an der Entschlossenheit der Besatzungsmacht. Veltheims letzter Ratschluss war die Flucht, sein Schicksal ein kärgliches, von Krankheit und Entbehrungen geprägtes Dasein an verschiedenen Orten in Westdeutschland: Linderung suchend, aber letztlich todgeweiht.
Gastgeber der geistigen Welt
56 Jahre nach seinem Lebensende mehren sich die Bestrebungen, am Stammsitz wieder etwas von seinem Geist einkehren zu lassen. Was der zu seinen Lebzeiten war, von denen gerade 15 Jahre Ostrau gewidmet waren, hat Veltheim in seinem sehr eigenen Verständnis vom Schlossherrn zum Ausdruck gebracht: Gastgeber zu sein für "Geistesarbeiter, Wissenschaftler, Universitätslehrer und Künstler aller Nationen und Bekenntnisse".
Dies ist ein Zitat aus seinen Tagebüchern. Sie sind noch unerschlossen, doch das soll sich mit einer neuen Forschergeneration ändern. In Gestalt von Dozenten der Universität Halle hat sie ortsnahe Wurzeln und findet zudem mit der wenige Jahre zurückliegenden Gründung der Ostrau-Gesellschaft einen verstetigten und überregional wahrgenommenen Rahmen.
Nicht, dass ein noch so honoriger Verein die Geschicke des Schlosses in einem akademischen Kraftakt stemmen könnte - aber immerhin ist es ein Anstoß. Für die Gemeinde ist das Schloss ein schweres Erbe. Sie hütet das Bauwerk und die Kapelle mit der einzigartigen "anthroposophischen" Ausstattung. Ein Flügel beherbergt die Grundschule. Der örtliche Kulturverein hat den Bibliothekssaal restauriert, doch seine kulturellen Angebote gehen über lokale Horizonte nicht hinaus. Ein neuer Verein widmet sich der Restaurierung des Parks mit Aussicht auf Aufnahme ins "Gartenträume"-Programm des Landes. Es passt, dass der Verein in den Gartenflügel zieht, vormals die Familiengemächer der Veltheims seit etwa 1900.
Die Ostrau-Gesellschaft wiederum hat im Schloss im Oktober 2010 den 125. Geburtstag Hans-Hasso von Veltheims mit einem gut besuchten Symposium begangen. Dessen Erträge sind jetzt in einem Sammelband nachzulesen. Es zeigt sich, dass mit Karl Klaus Walthers grundlegender Biografie von 2005 die facettenreiche, vielschichtige Gestalt Veltheim noch lange nicht endgültig erfasst ist.
Walther selbst steuert einen Beitrag zur philanthropischen Gesinnung des Grafen bei, die sich in den Zeiten des NS-Terrors in der Treue zu verfolgten Freunden als felsenfest erwies. Eine dieser Belege ist die Korrespondenz mit dem Berliner Rabbiner Leo Baeck, der Theresienstadt überleben und nach dem Krieg dem verarmten Veltheim Hilfe bieten sollte.
Keine Spur von Dünkel
Weitere Beiträge setzen Veltheims Denken und Wirken in Beziehung zu den kosmopolitischen Freundschaften, die er pflegte: Die Münchner Sinologin Ursula Ballin erörtert seinen Austausch mit dem Sinologen Richard Wilhelm. Die emeritierte Heidelberger Anglistin Margret Schuchard berichtet über den georgischen Dichter Grigol Robakidse, der zu den "Geistesarbeitern" gehörte, die die Ostrauer Gastfreundschaft genießen durften. Das breit gefächerte Studium Veltheims von nah- und fernöstlichen Kulturen und seine Reisen dorthin kommen in drei weiteren Beiträgen zur Sprache.
Es ist aber der hallesche Germanist und Mitbegründer der Ostrau Gesellschaft, John Palatini, der das Verbindende im schillernden Strauß von Veltheims selbst gewählten Interessen sucht. Er findet es in Veltheims Abkehr vom hergebrachten Adelsverständnis. Das ist biografisch bedingt: Der Graf ist schon 42, als er das Ostrauer Erbe antritt. Bis dahin bewegt sich der Sohn einer bürgerlichen Mutter in ebensolchen Bahnen. Im Schloss nimmt er zwar die Adels-Verpflichtung zu Land- und Gutsbesitz auf und nennt es sein "Schicksal", wenn nicht gar "Karma". Doch von Dünkel und "Habitus" keine Spur - stattdessen öffnet er sein Haus für Gleichgesinnte auf dem Weg zur "Selbst- und Welterkenntnis".
2013 steht das 300-jährige Jubiläum des Schlossbaus bevor. Für die Ostrau-Gesellschaft ist das Ansporn zu neuen Forschungen. Nun soll aber erst einmal am 25. März im "Lux"-Kino in Halle der Tagungsband vorgestellt und ein Film über "Richard Wilhelm und das I Ging" gezeigt werden, gedreht von Bettina Wilhelm, der Enkelin des Veltheim-Freundes.
Lux Kino am Zoo: Filmvorführung und Buchpräsentation, 25. März, 16 Uhr, Halle, Seebener Straße 172