Schauspieler Schauspieler: Otto Sander starb im Alter von 72 Jahren

berlin/MZ - Begegnungen gibt es, die vergisst man nie. So beiläufig und flüchtig sie auch zunächst erscheinen mögen. Und letztlich war es ja sowieso bloß so einer dieser lebensumspielenden Zufälle, dass an jenem trüben Novembertag vor ach, ich weiß nicht wieviel Jahren auf einmal Otto Sander neben mir in dieses Berliner Taxi sprang.
Er, Sohn aus protestantischer Familie, war einer der Referenten gewesen auf einer Tagung über katholische Kirchenkunst, von der ich zu berichten hatte. Und nun sollte es noch zu einer Ausstellung gehen. „Da haben wir ja den gleichen Weg“, ertönte die unverwechselbar prominente Stimme des Mannes mit dem roten Schnauzbart und dem bubenhaften Grinsen. Wie sollte ich die Taxifahrtzeit und später den Ausstellungsrundgang nicht nutzen und ihn journalistisch neugierig nach seinem Schaffen fragen? Was er so vorhat und überhaupt…
Auf dem Weg nach Paris
Mit absolut freimütiger und sehr persönlicher Auskunft hatte der große Schauspielstar überhaupt kein Problem. Und für ein späteres „richtiges“ Interview hat er mir noch sorgfältig auf ein kleines Kärtchen geschrieben, wo und wie er am besten zu erreichen wäre. Einige Zeit später kam dann ein Fax „auf dem Weg nach Paris“. Darin schrieb Sander von der Lektüre für ein neues Programm. Heinrich Heine, Wilhelm Busch, auch Ringelnatz. Von dem packte er gleich ein Zitat dazu: „Ich bin etwas schief ins Leben gebaut“. Schien wohl passend. „Frohes Fest“ noch und die Signatur: das O mit zwei Punkten und Strichen als eine Art Mondgesicht. Der Mund dabei auslegbar zwischen Lachen und Jammer. Nun ist dieser Ausnahme-Schauspieler und Ausnahme-Mensch tot. Gestern in Berlin gestorben mit nur 72 Jahren.
In Sorge um seine Gesundheit war man schon lange. Bis er schließlich im März nach einer Operation alle Termine absagen musste. Sechs Jahre zuvor war beim Stiefvater der ebenfalls vielfach reüssierenden Kinder Ben (48) und Meret Becker (44) aus einer früheren Verbindung seiner Frau, der Schauspielerin Monika Hansen, Speiseröhrenkrebs diagnostiziert worden.
Neben der unnachahmlich lakonisch zurückgenommenen Spielkunst des Großdarstellers Otto Sander ist es vor allem die Stimme, die unweigerlich im Ohr bleibt. Unverwechselbar in ihrem Timbre. Tief, sanft, jawohl, auch rauh (die Whiskys, die Gauloises Blondes!), irgendwie so verführerisch müde, dass man ihr wie magisch folgte. Auf der Bühne, im Film (wo er auch die Stimme von Dustin Hoffman war) und im Fernsehen. War es raffiniert oder einfach seine Art, dass Sander - immer ein bisschen zu leise sprach - wofür man ihm umso lieber und aufmerksamer zuhört (denn das kann man ja auch weiterhin)? „Gut abgehangen“ befand Otto Sander einmal selbst.
Gern auf hoher See
Auf der Theaterbühne war er ebenso zu Hause wie in über 150 Filmen für Kino und Fernsehen, inbegriffen all die Hörbücher, die Soloauftritte. Unvergesslich, wie er in Wim Wenders’ „Der Himmel über Berlin“ an der Seite von Freund Bruno Ganz seinen irdischen Dienst versah. Der Ritterkreuzträger Thomsen in Wolfgang Petersens Filmklassiker „Das Boot“ machte den (was kaum einer weiß) Leutnant zur See d. R. und Besitzer eines
Hochseekapitänspatents, der 1941 als Kriegskind eines Marineoffiziers in Peine bei Hannover aufgewachsen war, zum auch internationalen Star. In einem seiner letzten Filme hat er voller Verve sein komödiantisches Faible ausgespielt. In der auch in Dessau gedrehten Rentnersaga „Bis zum Horizont, dann links!“ entführt er, um seiner Angebeteten aus dem Altenheim zu imponieren, ein Flugzeug.
Ein Freund, einer, der Otto Sander gewiss nicht nur mal im Taxi getroffen hat, schrieb über ihn: „Alle lieben Otto. Sie grüßen ihn auf der Straße.“ Weil: Er war ja den Menschen so nah. In Sanders Arbeitszimmer, heißt es, hängt eine Strophe von Salvatore Quasimodo. Ein italienischer Dichter und Nobelpreisträger, der dieses notierte: „Ein jeder steht allein auf dem Herzen der Erde/ getroffen von einem Sonnenstrahl,/ und schon ist es Abend“. Es muss ihm gefallen und er muss es für sich wohl passend gefunden haben, der große, unvergessliche Otto Sander.
