Schauspiel Leipzig Schauspiel Leipzig: Drama über das Theater

leipzig/MZ - Dass man das Volk mit Brot und Spielen bei Laune halten kann, wussten schon die alten Römer. Dass es beim Kampf der Theater um Geld und Zuschauer längst so ruppig zu geht, wie einst bei den Gladiatoren, davon können nicht nur die heutigen Leipziger ein Lied singen. Na ja, das Blut ist Theaterblut. Und auch, wenn der Daumen irgendwelcher Jurys oder des Publikums nach unten geht, dann überleben das die Kämpen auf der Spielfläche heute zumindest physisch unbeschadet.
Schlacht um das Publikum
Unter der Regentschaft von Sebastian Hartmann am Leipziger Centraltheater gehören die Abende von und mit Rainald Grebe allemal zu den Quotenbringern bei der Schlacht um die Gunst der Leipziger Zuschauer - also in die Brot-und-Spiele-Abteilung. Zum Durchatmen neben der bewussten und immer konsequent praktizierten ästhetischen Herausforderung - immer auch als sympathische Handreichung an das schmollende Publikum.
Ein Theater für alle wolle man. Außer für die, die nicht kommen - so hört man des Intendanten Stimme aus dem Off. Während beim gerade begonnenen Theatertreffen in Berlin Sebastian Hartmann mit seiner faszinierenden Version von „Krieg und Frieden“ vertreten ist und sich damit ein überregionales Gütesiegel an die Brust heften kann, hat in Leipzig der große Abschiedsreigen begonnen. Jetzt ist Grebe mit einem „Tag der offenen Tür“ drangewesen. Diesmal ist er nicht auf der Bühne hinterm Musikantenpult unterwegs, sondern gibt den alten Römer. In der weißen Arena, die Hartmann für seine Abschiedsfestspiele mitten in den Zuschauerraum bauen ließ.
Auf dem - wie immer - grässlichen Programmfaltblatt kann man, wenn man will, das Wort „Alle“ lesen. Der Kern dieses zirzensisch entfesselten Abends ist nämlich ein öffentliches Casting für rausgeschmissene Schauspieler. Der anstehende Intendantenwechsel wird als Zeichen für einen neuen budgetären Angriff auf die Fundamente des heimischen Schauspielhauses genommen. Der wie Caesar hereingetragene Oeconomicus Maximus Klaus-Dieter Werner jongliert so mit Zahlen und Sparvorschlägen, das es alle (Kultur-)Welt nach dem Lachen das Fürchten lehrt. Ein wunderbar bürokratischer Arbeitsvermittler macht den arbeitslosen Schauspielern so ernstgemeinte wie unseriöse Angebote. Und die kämpfen nacheinander um das Daumenhoch des Publikums, das kurzerhand zur Fachjury erklärt wird. Und irgendwann prügeln sie dann auch aufeinander ein.
Was hier abläuft, ist eine wunderbar trotzige Selbstbehauptung der Schauspielkunst. Umgeben von Ignoranz. Inmitten einer neoliberalen „Ich brauch den Job“-Gesellschaft. Einspielvideos zeigen junge Leipziger, die weder wissen, wo das Theater steht, noch, wer dort das Sagen hat. Und schon gar nicht, was sie überhaupt sehen wollen. Die Künstler selbst sind eh Einzelkämpfer auf einem hart umkämpften Markt ohne Lobby und regelmäßige Gehaltserhöhungen.
Man sieht aber auch die Arroganz der Stellenverteiler in diesem Betrieb und deren Selbstverliebtheit. Es ist eine Art Prostituierungs-Show, mit der die privaten TV-Sender ein Heidengeld verdienen. Den Zuschauern Mitsprache vorgaukeln und im ungünstigsten Fall den Kandidaten nach ihrer Viertelstunde Ruhm einen Knacks fürs Leben verpassen.
Sie machen (fast) alles. Lassen selbst die Hosen runter, auch wenn das gerade mal keinen Sinn ergibt. Bis es einem reicht, der das Entwürdigende beim Namen nennt und wütend hinaus rennt. Aber was soll’s. Wo sich selbst die erfolgreichste Eiskunstlauftrainerin der Welt neu bewerben musste … Übrigens gibt es auch ein Holiday ohne Eis, eine Polizisten-Strip-Nummer, die zersägte Jungfrau und Frauen-Schlamm-Catchen.
Kollektion von Kabinettstückchen
Aber auch - und das ist die eigentliche Botschaft des Abends - eine ganze Kollektion von Kabinettstücken der Schauspielkunst. Wenn inmitten dieses hinreißenden Mitmach- und Mitlach-Abends voller Ironie und Hintersinn Barbara Trommer als die älteste im Bewerbungsbunde die Klage einer Troerin über ihr totes Kind hinlegt, ist es mucksmäuschenstill in der Arena. Und das wiegt alles Gejohle beim Strippen und Catchen auf.