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Sascha Anderson Sascha Anderson: Der Verräter von einst spricht nun über sich

Von Axel Nixdorf 21.02.2002, 17:31

Mainz/MZ. - Bis zum Mittwochabend, als er im SWR-LandesfunkhausMainz aus seinem neuen Buch las und sich derDiskussion von "Literatur im Foyer" stellte.Weitab also vom Prenzlauer Berg hatte manSascha Anderson geladen, tief in die linksrheinischeProvinz, wo fast schon Frankreich und gewisskaum anzunehmen ist, dass unbequeme Zwischenruferdie TV-Aufzeichnung erschweren könnten. EineOff-Broadway-Show für den verräterischen Dichter,ein Test vor dem Erscheinungstag 1. März.

Da stand er also verrutscht im Anzug, dieBrille über die Nasenflügel gedrückt, damitsich die Sprache nach redlicher Zerknirschunganhörte. Im Foyer war der Buchtitel zu lesen:"Sascha Anderson" heißt das Buch von SaschaAnderson. Der Schriftzug ist längs zerrissen.

Der Autor hat die Kindheitserinnerungen anRadebeul und Weimar in schwere lyrische Tunkegetaucht, die nach kurzer Zeit auch die Hörerklebrig überzieht. Beinahe hätte man denersten konterrevolutionären Akt des Heldenverpasst, bei dem er den Brotberuf des Schriftsetzersnutzte und statt des Zentralorgans eigeneWerke setzte. Nach Enthüllung, Rechtfertigungoder gar Vergangenheitsbewältigung aber hörtsich das kaum an.

Daran sollten auch die Diskussionsteilnehmernichts ändern. Uwe Kolbe und Adolf Endlerwollten der Diskussion lieber fernbleiben.So kam aus Berlin der Dichter Bert Papenfuß,der nicht mehr Gorek heißt, der LiteraturwissenschaftlerPeter Böthig, außerdem der Germanist KarlCorino sowie der Schriftsteller Hans ChristophBuch. Und die sollten zunächst den Text bewerten,obwohl sich doch das Publikum viel mehr fürSascha und die Stasi interessierte.

So suchten die Erst-Exegeten nach einem zentralenMotiv, nach Erklärungen und Rechtfertigungen.Die Sachlichkeit eines Sachbuchs sei hiernicht zu erwarten gewesen, wurde eingeräumt.Man begnügte sich. So kam die Runde zu demSchluss, dass der Autor sich seine Biografieals Geschichte selbst erzähle. Anderson stimmtehier mit ein. Dieses Buch habe nur mit ihmzu tun. Über andere äußere er sich nicht mehröffentlich.

Dass seine Kindheit überproportional genaudargestellt sei und die Verrats-Geschichtenweniger konkret, ja teilweise sogar märchenhaftüberhöht erschienen, inspirierte Corino zumWunsch nach Verbesserungen. Zumal für ihnder Autor seine Biografie nur in einem Punktschlüssig erklären könne. Er habe glaubhaftgemacht, dass er auf dem amoralischen Standpunkteines Kindes verharrt sei.

Hans Christoph Buch erinnerte sich noch seinerOst-Besuche und erkannte in der Art von AndersonsVergangenheitsbewältigung nun eine Übereinstimmungmit seinem Handeln als "IM neuen Typs". DasAbwiegeln sei damals Andersons Spezialitätgewesen, genau diese Technik wende der Autorauch in seinem biografischen Roman an.

Der Eindruck ließ sich nicht unterdrücken:Anderson schmollte im Verlauf des Abends zusehends.Über den Vorwurf, beim Verfassen des Buchessein Gedächtnis nur selektiv genutzt zu haben.Und ganz offenbar auch darüber, dass nun eineDiskussion beginnen wird, die er selbst eröffnethat. Die Dialektik des Verrats besteht ebennicht nur aus Negation der Negation.