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Rügen Rügen: Das Monsterhaus macht Staat

Von ANDREAS MONTAG 14.10.2010, 16:55

PRORA/MZ. -

Heiter und fröhlich präsentiert sich die Ferieninsel Rügen, nette Urlauber reisen aus allen Teilen der Republik an, um sich mit Kind und Kegel zu vergnügen. Das freut den regionalen Mittelstand. Warum soll man da nicht mit dem Betonbrocken gleich hinter dem Strand werben? Der Hinweis auf das "ehemalige KdF-Bad" leuchtet längst von den Vorwegweisern.



Das hat indes ein doppeltes politisches Geschmäckle. Denn erstens steht die Abkürzung KdF für "Kraft durch Freude", den nationalsozialistischen Wohlfahrts- und Feriendienst, der sich um verdiente "Volksgenossen" kümmerte. Und zweitens ist das Monsterheim von Prora, wo dem erklärten Willen der NS-Führung zufolge gleichzeitig 20 000 Menschen Urlaub machen sollten, niemals fertig, geschweige denn seiner Bestimmung übergeben worden. Aber so genau will das wohl keiner mehr wissen, und "ehemaliges KdF-Bad" klingt, rein marketingtechnisch gesehen, auch entschieden poppiger.

Freilich, mit dem gruseligen Betonkoloss muss etwas geschehen. Das steht außer Frage. Und dass nach Jahren erinnerungspolitischen Wildwuchses und widerstreitender Nutzungskonzepte nun eine Jugendherberge im Block V entsteht, ist im Grunde zu begrüßen. Die Frage ist nur, inwieweit der vielfältigen historischen Einschlüsse Rechnung getragen wird.



Die sind sämtlich erinnerungswürdig, ihre präzise Dokumentation würde dazu beitragen, den Bau vor einer Überhöhung zu bewahren, die nun wirklich nicht in die Landschaft einer Demokratie passt. Der Ausbau des geplanten KDF-Bades wurde mit Kriegsbeginn 1939 faktisch eingestellt. Während des Krieges diente die Anlage als Ausbildungsstätte für Luftwaffenhelferinnen und ein Polizeibataillon, als Quartier für ausgebombte Hamburger Familien und als Lazarett. Auch Flüchtlinge wurden hier untergebracht. Von 1948 und 1953 wurden die Gebäude von der Roten Armee genutzt, die den südlichsten Rohbau sprengte. Kurz nach den Russen zog die Kasernierte Volkspolizei ein, später übernahm die NVA. Neben einer Unteroffiziersschule beherbergte das Gebäude auch Bausoldaten, als Waffenverweigerer die Aussätzigen der DDR-Volksarmee. Hunderte von ihnen waren zeitgleich dort kaserniert. Sie wurden zum Bau des nahe gelegenen Fährhafens Mukran eingesetzt.

Über die ganze Geschichte muss und soll gesprochen werden - federführend dabei ist nunmehr der Verein Prora-Zentrum. Und offenbar überfordert. Da meint jedenfalls der Historiker Stefan Wolter, der in den 80er Jahren selbst als Bausoldat in Prora war. Auf ein Gesamtkonzept, das die Geschichte einbezieht, warte er seit Jahren. Sieht man sich vor Ort um, spricht viel für Wolters These. Die seltsam stolz ausgestellte Erinnerung an das "ehemalige KdF-Bad" ist das eine, die einstweilen fehlenden (oder endgültig verlorenen) Zeugnisse folgender Epochen sind das andere. Man kann es auch eine Überformung der Geschichte nennen. Der Bau schreitet voran, Block V, wo die Bausoldaten untergebracht waren, ist entkernt worden, 2011 soll die Herberge öffnen.

Wolter hätte sich vieles vorstellen können: Dokumentarische Zeitfenster im Bau zu erhalten, vielleicht sogar ein paar Räume, die an die elenden Lebensumstände der "Spatensoldaten" erinnert hätten. Gerade in einer Herberge für junge Leute vielleicht keine schlechte Idee. Aber was geschieht wirklich? Bislang jedenfalls nichts, sieht man von zwei kümmerlichen Vitrinen ab, die das Prora-Zentrum diesem Teil der Geschichte in seinem Ausstellungsraum widmet. Immerhin: Einen Zeitzeugenaufruf gibt es auf der Webseite des Vereins.

Erhalten sind noch die Arrestzellen am Tor, aber sie dürfen nicht besichtigt werden und dienen wohl als Abstellräume. Eine Gedenktafel, die Stefan Wolter an der früheren Turnhalle angebracht sehen will, wird nicht angebracht. Nicht nur das Prora-Zentrum, auch die örtlichen und Kreisbehörden lehnten das ab. Dabei würde die Tafel, vielleicht neben dem quietschbunten Cola-Automaten platziert, daran erinnern, wieviel Courage junge Menschen in der DDR haben konnten: Erst beim dritten Versuch (und nach massiven Drohungen seitens der Offiziere) sagten die Spatensoldaten einmal, in den 80er Jahren, den geforderten Treueeid auf. Zweimal hatten sie geschwiegen. Alle Mann. Aber die pazifistische Tafel ist nicht erwünscht. Und Wolters Sachverstand als Historiker und Zeuge offenbar auch nicht. Nur in der unweit gelegenen Gaststätte "Alt Saalfelder" gibt es dank der freundlichen Wirtsleute eine kleine Ausstellung, die Wolter und andere "Ehemalige" gestaltet haben. Das Wirtshaus, ein bis zu den Lichtschaltern original erhaltener DDR-Plattenbau, diente früher als Kantine für die Bausoldaten. Stefan Wolter hat nach jahrelanger Mühsal fast abgeschlossen mit dem Fall. "Der Prinz und das Proradies" heißt eines seiner Bücher zum Thema, erschienen im Projekte-Verlag Halle. Der Untertitel bringt es auf den Punkt: "Vom Kampf gegen das kollektive Verdrängen". Es könnte sein, dass er verloren geht.