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Revue Revue: Der Winter der Liebe

Von Andreas Hillger 01.01.2012, 17:37

Halle (Saale)/MZ. - Was haben Schneewittchen und Marlene Dietrich, Karl Marx und Edgar Allen Poe gemeinsam? Richtig: Sie posieren Seite an Seite mit Paul und John, Ringo und George auf dem Cover des Beatles-Albums "Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band", das am 26. Mai 1967 auf den Markt kam und in einer Umfrage des "Rolling Stone" vor neun Jahren zur wichtigsten Platte aller Zeiten gekürt wurde. Nun aber teilen sich die Märchenprinzessin und die Schauspielerin, der Philosoph und der Dichter nicht nur diesen Ruhm mit der Göttin Shiva und der Film-Ikone Marilyn Monroe, dem Hollywood-Star Tony Curtis und der Stummfilm-Legende Stan Laurel. Gemeinsam stehen sie auch auf der Bühne des Neuen Theaters in Halle, wo die großartigen Songs der Beatles noch einmal Revue passieren.

Warum freilich gerade diese Gestalten - und nicht etwa der Esoteriker Aleister Crowley und der Jugendstil-Künstler Aubrey Beardsley oder die Schauspielerinnen Shirley Temple und Mae West - aus dem Gruppenbild mit 70 Figuren gewählt wurden, bleibt das Geheimnis von Alexander Suckel. Der musikalische Leiter des Abends, der auch für Idee und Inszenierung verantwortlich zeichnet, verzichtet auf eine Etablierung seines Personals so nonchalant wie auf eine plausible Geschichte, die über das Anekdotische hinausginge. Ihm genügt die Figur eines Herrn (Stefan Wancura), der seine Trauer um die verlorene Geliebte in einem symbolisch aufgeladenen Nachtlokal ertränken will, als Anlass für eine Folge von Live-Songs in wechselnder Besetzung. Was die disparaten Zwischentexte von Ingeborg Bachmann und Jean Toomer, Hans Erich Nossack und Ingmar Bergman(n) zusammenhält, ist so rätselhaft wie die Biografie der Gestalten.

Das aber scheint um so bedauerlicher, weil die "Larven und Fratzen", die "Geister und Gespenster" in ihrer Konfrontation ja durchaus Konfliktpotenzial bieten würden: Was könnte es bedeuten, wenn der Kapitalismuskritiker Marx auf die Monroe als Inkarnation des schönen Scheins trifft? Was hätten sich Poe als Prophet des Scheintodes und Schneewittchen als untotes Mädchen zu erzählen? Man wüsste es gern, aber erfährt es nicht, weil sich keine der Figuren ihrer Geschichte stellt: Stan Laurel kopiert das "Ministry of Silly Walks", das freilich eher auf Monty Python als auf Dick und Doof verweist. Marlene Dietrich schwingt sich traumverloren auf die Schaukel. Und Shiva verrenkt sich in exotischer Manier - lauter Posen, keine Haltung.

So entsteht der seltsame Eindruck, dass hier einem Konzeptalbum vorsätzlich das ohnehin vage Konzept ausgetrieben wird. Natürlich kann man einwenden, dass auch Songs wie "She’s Leaving Home" und "Being for the Benefit of Mr. Kite!", "Getting Better" und "Lovely Rita" nur durch den Rahmen des Single-Clubs fixiert und lose verbunden werden. Aber wenn man sie in einen szenischen Kontext stellt, sollte man Argumente haben, die über buntes Licht und einen beherzten Griff in den Requisitenfundus hinausgehen.

Diese fällige Begründung findet sich immerhin bei den Darstellern, die mit Spaß und Talent bei der Sache sind: Danne Hoffmann, Elke Richter, Nicoline Schubert und Lena Zipp sind ein Diven-Quartett, das nicht nur im Zickenkrieg des - ebenso wie "Strawberry Fields For-ever" - als Bonusmaterial addierten Hits "Penny Lane" glänzt. Auch die Soli sind - von Schneewittchens Sitar-Ausflug bis zu Monroes Teenager-Elegie, von Dietrichs Politessen-Hymne bis zu Shivas Ode auf das Dasein - absolut hörenswert. Das trifft auch auf die Beiträge der Herren Peter W. Bachmann, David Kramer, Karl-Fred Müller und An-dreas Range zu, wobei hier die Spontan-Vergreisung in "When I’m Sixty-Four" und die Nachrichten-Nachlese "A Day in the Life" hervorragen. Dass alle diese - von den Beatles nie live gespielten - Songs mit dem beschränkten Instrumentarium der fünfköpfigen "Straightjummys" (Markus Ziller-Schmidt (Gitarre), Ingo Schreiter (Bass), Jürgen Kober (Drums), Christoph Modersohn (Querflöte, Saxophon, Percussion), Alexander Suckel (Keyboards)) auskommen müssen, bleibt bedauerlich. Die satten Blech-Fanfaren und üppigen Streicherarrangements von Sgt. Pepper und seiner Band vermisst man schmerzlich, "Lucy in the Sky with Diamonds" etwa klingt eher nach Valium als nach LSD.

Eine Pointe immerhin liefert das kleine Medley, das die Songs in den Kontext des Zeitgeistes einbettet: Neben Hits wie "Je’t aime" findet sich hier auch Bob Dylans Frage, wie man sich ohne Heimat als Ziel fühle: "Like a Rolling Stone ...". Und beinahe hätte diese Zeile in der umjubelten Reprise den Schlusssatz gebildet - was alle Stones-Fans sicher diebisch gefreut hätte.

Nächste Vorstellungen: 5. Januar, 19.30; 6. Januar, 15 Uhr