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Renaissance Renaissance: Das Ideal der Knollennase

Von GÜNTER KOWA 24.08.2011, 18:20

BERLIN/MZ. - Wer nach Paris fährt, will in den Louvre, wer nach Krakau reist, wird ans "Czartoryski Museum" womöglich nicht zuerst denken, wenn er denn den Namen buchstabieren kann. Dabei bergen beide Häuser eine Berühmtheit, der Louvre die Mona Lisa, das Czartoryski Museum die "Dame mit dem Hermelin" - und wer von Leonardo da Vinci sonst nur den "Code" kennt, hat immerhin diese Bilder im Kopf.

Doch in Krakau macht ein langes Gesicht, wer am Portal des Stadtpalais der gleichnamigen Fürstenfamilie steht. Es ist geschlossen wegen Renovierung, noch bis 2013. Enttäuscht macht man mit der Familie kehrt, der man von der geheimnisvollen Schönheit der jungen Dame und dem possierlichen Tier auf ihrem Arm erzählt hat. Doch können die Menschen nicht zum Bild, kommt es unverhofft zu den Menschen: Es ist von heute an der Publikumsmagnet der Ausstellung "Gesichter der Renaissance" im Berliner Bode Museum.

Und, ja, da wird man die Familie nicht zuhause lassen. Das Museum hat sich in eine Schatzkammer verwandelt, in der der Weg zum Hermelin an Bildern vorbeiführt, die wie Kostbarkeiten aus dem Dunkel aufleuchten. Lichtkegel machen die "Gesichter der Renaissance" sichtbar, in Gemälden und Zeichnungen an der Wand, aber auch in Büsten aus glitzernd weißem Marmor auf Podesten und handtellergroße Bronzemedaillen in Vitrinen.

Es sind die Malerei, die Zeichnung, die Rund- und die Reliefplastik, die die Kuratoren der beiden kooperierenden Museen - das Berliner Haus gemeinsam mit dem New Yorker Metropolitan Museum of Art - als die führenden Medien für ihre Sicht auf die Renaissance aufbieten. Diese Sicht gilt demjenigen Genre der Renaissance, das den Geist der Epoche am treffendsten zu charakterisieren scheint.

Erwachen der Persönlichkeit

Es ist das Porträt, nicht mehr in Form symbolhafter Herrscher- und Heiligenbildnisse, sondern als Ausdruck des Individuums, einzigartig, lebensnah, greifbar. Wenn man neben der Wiedererweckung der Antike das "Erwachen der Persönlichkeit" zum Wesensmerkmal der Renaissance erklärt, dann ist es die Kunst des Bildnisses, das die Anschauung liefert. Die Kuratoren haben sich genau das zum Ziel gesetzt. Es ist das Italien der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, wo sie die Menschwerdung der Kunst verfolgen, beginnend in der Florentiner Republik, über die Höfe zum Beispiel in Urbino, Ferrara oder Mailand, und endend in Venedig.

Dabei wurden keine Mühen gescheut, über gut 50 Leihgeber eine ebenso beeindruckende wie repräsentative Auswahl von Bildern zusammenzuführen. So gibt es nicht nur Begegnungen mit Berühmtheiten, sondern auch von Berühmtheiten untereinander: Die perlengeschmückte Edeldame von Pollaiuolo (um 1470-1475), die Ikone des Museo Poldi Pezzoli in Mailand, lässt sich nun dem Damenbildnis Pollaiuolos aus der Berliner Gemäldegalerie zur Seite stellen; beide gehören zu den stilprägenden Werken ihrer Art. Ähnliches gilt für die hinreißende, aber auch artifizielle Schönheit der "Simonetta Vespucci" von Botticelli, die in Versionen aus der Gemäldegalerie und dem Frankfurter Städel hervortritt.

Die Fokussierung auf Italien mag eingeengt erscheinen, aber sie richtet doch auch die Aufmerksamkeit auf die Zwiespältigkeit des Porträts als Künder von Individualität. Schon mit dem Bildnis eines Mannes mit turbanartigem Kopfputz, das Massaccio zugeschrieben wird, tritt das Florentiner "Profilporträt" in seinem frühesten Zeugnis auf die Bühne, wo es jahrzehntelang vorherrschend bleibt. Damit wird deutlich, dass in dem Genre etwas Idealisierendes innewohnt, ein Verweis auf antike Münzen und Stifterbildnisse, also eine Konvention, die zugleich eine Würdeformel enthält.

Dass in den Bildnissen immer mehr individuelle Züge auftauchen, lässt dennoch keinen Realismus der Person aufkommen, auch nicht bei den Männerporträts, bei denen das Hervorheben von Unvollkommenheiten beliebt ist. Berühmt ist die Hakennase Federico da Montefeltros aus Urbino und erst recht die Knollennase, die Domenico Ghirlandaio dem Großvater gibt, der auf seinem Tafelbild von um 1490 in so inniger Zuwendung mit seinem Enkel verbunden ist.

Aber es ist doch immer ein Ideal, das in diesen Bildern zum Ausdruck kommt. In der Renaissance nach neuplatonischem Gedankengut zu suchen ist nicht mehr in Mode, aber der Schönheitskult ist unübersehbar, wo es um die Frauenbildnisse geht. Sie stehen für jenes "Verlangen nach dem Genuss der Schönheit", die der Gelehrte Marsilio Ficino für göttlich erklärte.

Sie durchdringt die Natur, die im Hintergrund so vieler dieser Bildnisse auftaucht. Der verfeinerte Lebensstil schwängert die Luft des mediceischen Hofes in Florenz, der in einer eigenen Abteilung seine Repräsentanten vorzeigt, den durchgeistigten Cosimo Vecchio in einem Relief aus Rossellinos Werkstatt oder den willensstarken Piero in einer Büste von Mino da Fiesole.

Wie das Lächeln der Mona Lisa

Leonardos "Dame mit dem Hermelin" von etwa 1489 kommt als Schlusspunkt umso wirkungsvoller zur Geltung, da dieses in seiner Pose so rätselhafte Porträt der Cecilia Gallerani mit den Konventionen der frühen Porträtkunst der Renaissance bricht. Die Geliebte des Mailänder Fürsten Ludovico Sforza, genannt il Moro, wendet ihren Blick zu einem Gegenüber außerhalb des Bildes, ihr Lächeln ist wie das der Mona Lisa andeutungsweise vieldeutig. Das Werk ist in seinem Verweis auf höfische Moden ein Sittenbild, und zugleich wie stets bei Leonardo ein Manifest von der Überlegenheit der Kunst über die Natur, weil sie die "hinfällige Sterblichkeit der Lebenden am Leben erhält". Um nicht wie in Krakau dieses Meisterwerk zu verpassen, tut Eile not: Die "Dame mit dem Hermelin" reist nach dem 31. Oktober nach London weiter.

Bis 20. November: Bode-Museum, Berlin, täglich 10 bis 18 Uhr, Do zusätzlich bis 22 Uhr. Katalog, 408 Seiten, 29 Euro