Renaissance Renaissance: Architekt in zwei Welten
Halle (Saale)/MZ. - Um 1500 kommt die wiedergeborene Antike über die Alpen. Eines der wichtigsten Einfallstore für die Renaissance ist Mitteldeutschland. Es sind die Fürstenhöfe, die die Formensprache begierig aufgreifen und damit ihre Residenzen zu Zeichen feinsinniger Bildung und klassischer Belesenheit ausbauen. Doch das Repertoire der berankten Pilaster, rundbogigen Schmuckgiebel, rechtwinklig gerahmten Fenster und offenen Bogenhallen trifft auf eine selbst schon zu raffinierter Handwerklichkeit ausgereiften Spätgotik.
Architekturhistoriker erkennen im Vermischen der Stile längst nicht mehr einen Mangel an Verständnis für das antik gewandete Formenrepertoire aus Italien. Die Ferne von den römischen Ruinen mag in nördlichen Breiten die Erkenntnis für Regelmaß und Ordnungssystem eingeschränkt haben, doch den Fürsten ging es um die Würde der eigenen überlieferten Tradition, die mit dem Glanz des Neuen zu überhöhen war. Eine großartige Botschaft dieser Art ist der kolossale Wendelstein in Hof von Schloss Torgau.
In den letzten Jahren sind einige neue Studien zu den Renaissancebauten Mitteldeutschlands erschienen. Mit "Andreas Günther aus Komotau" versucht aber die Kunsthistorikerin Anke Neugebauer auf der Basis ihrer Dissertation an der Uni Halle nun auch wieder eine einzelne Künstlergestalt in den Blick zu nehmen. "Ein Baumeister an der Wende zur Neuzeit" nimmt Kontur an, der zwar anhand seiner Bauten für bedeutende Auftraggeber bekannt und erforscht, aber eben nicht als eine treibende Kraft des Stilwandels erfasst ist.
Viel gefordert, gut bezahlt
Das Erstaunliche an der Zusammenschau seines Schaffens liegt in Günthers stilsicherem Geschick: Seine Auftraggeber hatten Geschmack am Drum und Dran der Renaissance gefunden, er befriedigte diese Wünsche auf hohem Niveau. Die Quellen zeigen, wie gefragt der Baumeister an den Höfen war, welch beachtliche Entlohnung er einfordern und als begüterter Patrizier leben konnte und mit welch gehobenem Selbstverständnis er agierte.
Zwar ist sein früher Werdegang nicht mehr zu rekonstruieren. Aber der gleich doppelte Schlossbau, begonnen 1525 für die Herren von Schönburg in Glauchau, zeigt den damals höchstens 35-Jährigen als Könner, der den "Welschen Giebel" zu spektakulärem Effekt an Schaufassaden einzusetzen weiß.
Kein Wunder, dass Kardinal Albrecht in Halle den "Steinmetzen, Wergkmann und Baumeister" 1533 für "die tzeitt seins lebens" in Dienst nimmt, vermittelt durch den Kammerherrn Hans von Schenitz, dem er mit dem "Kühlen Brunnen" einen Prachtbau mit Arkaden, Bogenportal und Festsaal hingestellt hatte.
Die Autorin kann sich für Günthers hallesche Zeit auf neue Bauforschungen stützen. Erwiesen ist, dass Albrechts "Neue Residenz" einen allseitig mit Bogengängen offenen Innenhof hatte. Das strebt schon sehr nach dem "zweiten Rom", das sich der Kirchenfürst erträumte, dann aber am reformatorischen Aufruhr scheiterte. Doch man trifft denselben Baumeister ab 1538 am Bernburger Hof des anhaltischen Fürsten Wolfgang - einen engen Freund Luthers und Mitbegründers der protestantischen Allianz im Schmalkaldischen Bund.
Zeugnis des Glaubenskampfes
Doch der Architekt schuf mit dem Flügelbau an der Saaleseite nicht nur den Ansatz einer grandiosen, in die Landschaft hinaus strahlenden Inszenierung (die 30 Jahre später zu Ende geführt wurde), er hinterließ auch ein plastisches Zeugnis seines tief greifenden Umschwenkens im Glauben.
Anke Neugebauer bietet eine neue, detaillierte Deutung jener im Schloss erhaltenen Tafel, auf der Günther sein Porträt in eine Allegorie des Glaubenskampfes einbettet. Der Künstler schaut auf zum lutherischen Gott, der ihn, den bibelfest Gläubigen, als Schild, Segel und Kompass durch alle Anfechtungen hindurch den Weg zur Seligkeit, einem Tempelgebäude, weist.
Anke Neugebauer bleibt stets nah an ihrem Protagonisten. Bau für Bau verfolgt sie sein Wirken und erschließt seine (böhmische) Herkunft und sein baumeisterliches Selbstverständnis aus den Quellen. Ein Panorama der Epoche will die Wissenschaftlerin nicht bieten, auch die Erkenntnisse der Forschung zu jenem zweiseitigen Darstellungsbedürfnis der fürstlichen Bauherren als Neuerer und Bewahrer gleichermaßen wird nur angeschnitten.
Die Frage, ob der Wechsel der Konfession das Werk Günthers erkennbar beeinflusst, stellt sich nicht. Sein bekennerhaftes Selbstbildnis trägt die Jahreszahl 1538. Drei Jahre später fällt Andreas Günther in Gotha vom Baugerüst und ist tot.
Anke Neugebauer: Andreas Günther von Komotau. Hallesche Beiträge zur Stadtgeschichte, Band 11, Kratzke Verlag, 368 Seiten, 36,80 Euro