Religion Religion: Ben Becker bringt die Bibel

Leipzig/MZ. - Er ist spät dran, der Zugaus Stuttgart war nicht pünktlich. Dort absolvierteer, was ihm am nächsten Tag auch in Dresdenbevorsteht: Interviews, Fototermine, Drehsfür Fernsehbeiträge - Werbereise vor der Tour.Jetzt muss die Musik abgestellt werden, weilsie dudelt, und die Klimaanlage, weil siebrummt. Außerdem sind noch keine Zigarettenda. Erst als der Hotelangestellte den Raumverlassen hat, ist Ben Becker bereit zu reden.
Die Bibel also. Die meistgedruckte und weitestverbreiteteSchrift der Welt. Braucht das Buch der Büchereinen Schauspieler als Prediger? Ben Beckerwehrt ab. "Ich komme aus einem sozialistischenHaushalt, ich habe den dialektischen Materialismusverinnerlicht", sagt er und betont, wie gerner vorlese und wie ehrlich er es meine, "vordir jetzt, vor 300 oder 3000 Leuten". Langedenkt er über Fragen nach, lässt sich nichtunterbrechen, wenn er Antworten aus dem vielseitigenManuskript klaubt, das neben ihm auf dem Sofaliegt.
Über Jahre hat sich Ben Becker mit der Bibelund ihrer szenischen Aufbereitung beschäftigt,hat "Sachen ausgesucht, die jeder kennt".Ende September geht er mit einer 120-köpfigenCrew auf Tournee. Bis in den Dezember hineinund an elf Abenden wird das moderne Oratorium durchdie größten Hallen der Nation donnern: Textedes Alten und Neuen Testaments zu Gustav Mahlerund Elvis Presley, dargeboten von der ZeroTolerance Band, einem Gospelchor und dem DeutschenFilmorchester Babelsberg. Die Plakate verheißen"Eine gesprochene Symphonie", zeigen Ben Beckermelodramatisch vor himmelblauem Grund. Einweißer Flügel wächst ihm aus Hals und Schulter,aus dem linken Nasenflügel rinnt ein Blutstropfen.
Becker wirft sein Streichholz lässig in dieSofaecke, die Pose ist schiere Arroganz, aberin seinem Gesicht stehen die Gedanken. Vorein paar Hundert Menschen in der SpandauerMarienkirche merkte er, dass es funktioniert.Drei Aufführungen im Tempodrom Berlin warenausverkauft, beim Deutschen Katholikentagkamen 15000 Zuschauer. Überrascht? Wiedereine Absage: "Ich bin nicht kalkuliert, dassieht man ja auch an anderen Sachen." Ja doch,er glaube, aber "nicht im christlich-religiösenSinn". Nennt sich einen Ketzer, nimmt daszurück, bekräftigt es.
Erzählt von der Korrespondenz mit der DeutschenBibelgesellschaft, von seinem Freund, demMönch. Sagt über Jesus Christus: "Ich liebeden! Ich verneige mich vor dem! Der Mann hingfür uns alle an diesem beschissenen Kreuz."Auch vor der Bibel habe er einen "Heidenrespekt",denn "alles, was wir erleben, steht da schondrin. Dass die Quintessenz des Ganzen dieLiebe ist. Und dass wir es nicht hinkriegenwerden, auf diesem Planeten friedlich zusammenzuleben."
Wenn Gottes Wort solche Macht besitzt, warumrennen die Leute in Bibelshows und bleibenden Kirchen fern? Nicht sein Problem, lehntBecker ab, "meine Kirche ist das Theater!"Wie unter großem Rechtfertigungsdruck erhebter sich, gestikuliert, wuschelt Haare insGesicht. Wirkt, als gehe ihm der Rummel umseine Person gewaltig auf die Nerven. Um ihn,den Geschichtenerzähler, den Vorleser, der"ernst und wahrhaftig und neutral" sein will.Den Wanderprediger, der nicht missionierenmag.
Dann lächelt er doch. "Komm hin, es ist schön.Wirklich schön." Und: "Ich versteh gar nicht,warum ich dafür immer angegriffen werde, ichspiel doch nur Theater!"
Ben Becker gastiert am 12. Oktoberin der Arena Leipzig, Tickets unter 0345/2029771